Video-Szenen der umstrittenen Inobhutnahme in Bremerhaven:

Szenen der umstrittenen Inobhutnahme in Bremerhaven: Eine Beamtin der Polizei und eine Mitarbeiterin des Jugendamtes schaffen einen sechsjährigen Jungen mit Gewalt aus der Wohnung seiner Familie. Für den Anwalt der Syrer war das "menschenunwürdig".

Foto: Screenshot / Grafik: Charlene Schnibbe

Bremerhaven

Video-Fall: Familien-Anwalt kritisiert das Vorgehen als „menschenunwürdig“

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Von Christian Lindner
15. Mai 2023 // 18:14

Der Anblick des Videos ist nur schwer zu ertragen: Beamtinnen von Polizei und Jugendamt zerren einen Jungen aus einer Wohnung.

Herausgabe von zwei Kindern verlangt

„Menschenunwürdig“: So bewertet Rouven Plöger, Fachanwalt für Familienrecht, das Vorgehen von Polizei und Jugendamt Bremerhaven beim gewaltsamen Herausnehmen von zwei kleinen Jungen (6 und 10) aus einer muslimischen Familie.

So verlief die umstrittene Inobhutnahme in Bremerhaven

Die Schlüsselszene des Videos vom Herausnehmen zweier Jungen aus einer muslimischen Familie. Wir haben die Beteiligten unkenntlich gemacht.

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Wie bereits berichtet, war das Jugendamt am 27. April 2023 frühmorgens bei der syrischen Familie in Bremerhaven-Leherheide erschienen und hatte die Herausgabe der zwei jüngsten der insgesamt vier minderjährigen Kinder verlangt.

Amtsgericht: "Notfalls unter Anwendung von Gewalt"

Das Jugendamt hatte im März 2023 beim Amtsgericht via Eilantrag erwirkt, dass dem Vater (52) die elterliche Sorge für seine vier Kinder unter 18 entzogen und der Behörde übertragen wurde. Das Gericht hielt dies „zum Wohl der Kinder zwingend erforderlich“. Da der Vater die Herausgabe seiner zwei Söhne verweigerte, ordnete das Amtsgericht am 26. April 2023 an, die Kinder dem Jugendamt „notfalls unter Anwendung von Gewalt“ zuzuführen.

Vollzug eskalierte - Video verbreitet sich weltweit

Der Vollzug einen Tag später eskalierte – mit Folgen: Eine Polizeibeamtin und eine Mitarbeiterin des Jugendamtes zerrten den bitterlich schreienden und sich wehrenden jüngsten Sohn aus der Wohnung. Der Vater filmte die Schlüsselszene der Inobhutnahme. Sein Video verbreitete sich millionenfach weltweit im Internet, befördert auch durch Fake News: Bis heute kursiert unter Muslimen, Polizei und Jugendamt seien wegen Glaubensfragen so hart gegen die syrische Familie vorgegangen.

Anwalt: Schlechter konnte man das nicht durchführen

Neuerdings wird die Familie von Rechtsanwalt Rouven Plöger (Kanzlei Plöger-Ukat, Bremerhaven) vertreten. In mehreren Anträgen an das Amtsgericht Bremerhaven kritisiert dieser den Ablauf der Aktion hart. Aus seiner Sicht „hätte man den Vorgang der Herausnahme nicht schlechter durchführen können“. Nach seiner Einschätzung sind „die Kinder durch die Art und Weise der Herausnahme schwer geschädigt“. Für Plöger stellt deshalb das Vorgehen des Jugendamts „eine Kindeswohlgefährdung dar“.

Kein Fehlverhalten der Mitarbeiter

Von Jugendamt und Polizei Bremerhaven wird der Ablauf der Inobhutnahme völlig anders als von der Familie und von ihrem Anwalt gewertet, ein Fehlverhalten der Mitarbeiter sei nicht erkennbar, sagt der Sprecher des Magistrates der Stadt, Mark Schröder. Auch die Polizei Bremerhaven sieht im Vorgehen der Beamten nichts Problematisches. Polizeihauptkommissar Jens Ammermann von der Pressestelle der Ortspolizeibehörde teilte schriftlich mit, „dass sämtliche Beteiligten einen professionellen Eindruck vermittelt haben“.

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