Ein Impfbuch mit markierten Feldern Diphterie (l-r), Tetanus (Wundstarrkrampf), Pertussis (Keuchhusten), Polio und Masern liegt auf einem Tisch. (zu dpa: «Polio in Deutschland – womöglich bereits Ansteckungsketten?»)

Erschreckend: Nur 21 Prozent der Einjährigen sind vollständig geimpft.

Foto: Daniel Karmann

Gesundheit

Seuchengefahr im Abwasser: Die Kinderlähmung kehrt zurück

4. Juli 2025 // 13:00

Abwasserfunde in mehreren Städten alarmieren Experten: Drohen heimliche Ansteckungsketten? Trotz Impfstoff breiten sich Polioviren offenbar wieder aus – und viele Kinder sind ungeschützt.

Polioviren im Abwasser

In mehreren deutschen Städten sind erneut Polioviren im Abwasser gefunden worden. Das Robert Koch-Institut (RKI) hält es für zunehmend wahrscheinlich, dass es lokale Ansteckungsketten gibt – auch wenn bislang keine nachgewiesene Übertragung oder Erkrankung gemeldet wurde.

Ärzte sollen wachsam sein Mediziner und Labore sind aufgerufen, bei Verdacht auf Polio gezielt zu testen und zu melden.

Impflücken bei Kleinkindern

Nach RKI-Angaben sind nur 21 Prozent der Einjährigen vollständig geimpft – obwohl die Grundimmunisierung bis zum 1. Lebensjahr erfolgen sollte. Bei den Zweijährigen liegt die Quote bei 77 Projekt. RKI-Chef Lars Schaade mahnt: „Jeder in Deutschland sollte gegen Polio geimpft sein.“

Eine gefährliche Krankheit ohne Heilung

Polio – auch Kinderlähmung genannt – kann zu dauerhaften Lähmungen oder gar Atemstillstand führen. Zwar verläuft die Infektion meist mild, doch bei rund 1 von 100 Infizierten kann es zu schwerwiegenden Komplikationen kommen. Eine Therapie gibt es nicht – nur Impfung schützt wirksam.

Abwassernachweise in mehreren Städten

Seit Ende 2024 wurden in allen sieben regelmäßig untersuchten Städten Polioviren entdeckt. Auch aktuell finden sich Erreger in Dresden, Mainz, München und Stuttgart. Die Funde zeigen: Menschen im Einzugsgebiet scheiden das Virus aus. Offen ist, ob sich die Infektion in Deutschland selbstständig verbreitet – oder von Reisenden eingeschleppt wird.

Ursprung: Schluckimpfstoff aus dem Ausland

Die gefundenen Viren stammen von einem abgeschwächten Impfstofftyp (cVDPV2), der in Afrika und Asien noch verwendet wird – nicht aber in Deutschland. Hierzulande wird seit 1998 nur noch der inaktivierte Impfstoff (IPV) eingesetzt. IPV schützt vor Erkrankung, verhindert aber keine Virusübertragung – weshalb auch Geimpfte den Erreger weitergeben können.

Übertragungswege: Nicht nur fäkal-oral

Polio wird meist über Schmierinfektion übertragen. In Ländern wie Deutschland spielen laut RKI aber auch Tröpfcheninfektionen über den Rachenraum eine Rolle. Die Ständige Impfkommission rät zu einer Grundimmunisierung mit drei IPV-Dosen im Säuglingsalter und einer Auffrischung zwischen 9 und 16 Jahren.

Polio-Ausbrüche mit vakzineabgeleiteten Viren (wie in New York 2022) zeigen, wie gefährlich Impflücken sind. Die Pandemie hat vielerorts Routine-Impfungen unterbrochen – besonders in Afrika steigen die Fallzahlen. (dpa/feh)