
Die Plankenübung stärkt die Rückenmuskulatur.
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AOK-Spezial: Rückenschmerzen durch verkürzte Muskeln
Auf die Frage, warum viele Menschen Rückenprobleme haben, nennt Helge Riepenhof, Orthopäde, Sportmediziner und Fernseharzt im AOK-Spezial gleich mehrere Faktoren. Er weiß auch, was helfen kann.
„Wir sind eine Gesellschaft der Faultiere“, sagt Helge Riepenhof. „Wir sitzen zu viel und bewegen uns zu einseitig.“ Rückenprobleme sind also kein Wunder. Im Interview erzählt der Orthopäde, Sportmediziner und Fernseharzt, wie man effektiv vorbeugen und Schmerzen beenden kann.
Warum steigt die Zahl der Menschen mit Rückenbeschwerden?
Helge Riepenhof: Es sind viele Faktoren, die einander beeinflussen. Wir ernähren uns zum Beispiel zu kalorienreich, das heißt wir führen uns zu hohe Energiemengen zu, die wir nicht verbrennen, weil wir uns nicht genug bewegen. Und dann nehmen wir weiter an Gewicht zu, und alles wird noch schwieriger und anstrengender.
Was passiert mit dem Rücken, wenn man sich zu wenig bewegt?
Eigentlich kann man Rückenprobleme fast immer auf die Muskulatur zurückführen, die einfach verschwindet. Meist machen die Lendenwirbelsäule und die Halswirbelsäule Probleme, bedingt durch die nach vorn gebeugte Haltung. Das Entscheidende ist die Muskulatur rund um die Wirbelsäule, aber auch die Bauchmuskulatur. Wenn sie zu schwach ist, verliere ich an Stabilität in der Wirbelsäule. Das führt zu Fehlbelastungen, und daraus resultieren Schmerzen.
Sitzen wir auch zu viel?
Ja, auf jeden Fall. Sitzen hat noch weitere Nachteile, als dass man sich nicht viel da- bei bewegt: Beispielsweise verkürze ich im Prinzip, weil ich nicht ausreichend lange gerade und aufrecht sitze. Wenn ich am vorderen Körper überall verkürzte Muskeln habe und diese auch noch fest werden, nimmt der Rückenschmerz weiter zu, denn die Fehlbelastung bleibt praktisch permanent bestehen.

Rückenschmerzen sind bei langer Sitztätigkeit häufig die Folge.
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Warum verkürzen die vorderen Muskeln im Sitzen?
Wenn ich den ganzen Tag über in einer Position bin, zum Beispiel beim Sitzen am Schreibtisch, ist der Muskel, der das Becken mit der Wirbelsäule verbindet, weder gedehnt noch in irgendeiner Form gefordert. Dann hypotrophiert der Muskel und verliert nicht nur an Umfang, sondern auch an Länge. In den kurzen Phasen der aufrechten Haltung ist er dann schon maximal gedehnt und verändert die Druckverhältnisse auf zwei kleinen, aber sehr wichtigen Gelenken, den Iliosakralgelenken. Diese tun dann weh, und es entsteht der typische Rückenschmerz direkt neben der Wirbelsäule rechts und links, nah am Becken.
Was bedeutet Hypotrophie genau?
Die Muskeln werden immer kleiner und verkümmern. Das heißt allerdings nicht, dass man den ganzen Tag in aufrechter Sitzhaltung verbringen sollte. Jeder sollte sich auch mal zurücklehnen und zwischen verschiedenen Positionen wechseln.
Wieviel sollte man sich denn bewegen?
Die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt 75 Minuten hohe körperliche Belastung oder 150 Minuten moderate Belastung pro Woche. Und damit ist nicht unbedingt Sport gemeint. Wenn ich den Garten um- grabe, zählt das auch dazu.
Gibt es Empfehlungen zum Mischungsverhältnis zwischen Ausdauer, Krafttraining und Dehnen?
Wenn man einmal pro Woche 40 Minuten am Stück Ausdauertraining macht, ist schon viel gewonnen. Und dreimal pro Woche ein bisschen Krafttraining. Und das, wo ich beim letzten Mal nicht so gut war, trainiere ich ein bisschen. Man sieht dabei unheimlich schnell Erfolge. Übrigens: Wer zweimal pro Woche 40 Minuten Ausdauerbelastung schafft, senkt sein Risiko für Herzerkrankungen um 25 Prozent.
Gibt es Sportarten, die besonders gut für den Rücken sind?
Man muss gar nicht gleich an Sportarten denken. Zum Beispiel so ein ganz einfaches Bauchmuskeltraining, das kann jeder zu Hause machen. Einfach auf den Fußboden legen, und los geht es. Und ich kann schon mit diesen ganz einfachen Planks viel bewirken, also sich auf den Unterarmen abstützen und den Rumpf heben. Und dann sind Sportarten wie Schwimmen geeignet. Ausdauersport ist ebenfalls gut für den Rücken, wenn ich die Bewegungsqualität aufrechterhalte.
Was meinen Sie mit Bewegungsqualität?
Schlechte Bewegungsqualität bedeutet, dass ich mich fehlbelaste. Eine Sache, die man zum Beispiel bei vielen Läufern sieht ist, dass sie mit den Kniegelenken beim Laufen nach Innen wegknicken. Das ist nicht nur schlecht für die Kniegelenke, sondern auch für den Rücken, da diese Fehlbelastung den Körper mittelfristig überfordert.
Sollte man sich bei akuten Rückenschmerzen schonen?
Ja, ein akuter Rückenschmerz braucht fast immer erst einmal Ruhe. Allerdings muss man trotzdem versuchen, die Muskulatur zu aktivieren. Das können ganz einfache Übungen sein: sich auf den Rücken legen und die Beine anheben. Und dann halte ich die Beine und versuche, tief in den Bauch zu atmen.

Dr. med Helge Riepenhof bei einem Vortrag für die AOK Gesundheitskasse.
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Warum engagieren Sie sich im NDR-Fernsehen bei den „Bewegungs-Docs“?
Als Orthopäde und Unfallchirurg hatte ich früher viele Patienten. Aber das Ergebnis der Reha habe ich eigentlich nie gesehen. Aufgrund der tollen Effekte, die man auch ohne Operationen erreichen kann, bin ich zu den Bewegungs- Docs gekommen, hier konnte ich die Menschen länger begleiten, im Prinzip so wie in der Sportmedizin. Man betreut die Sportler, bis sie wieder auf dem Platz stehen.
Mehr Infos:
Ein sechswöchiges Video- Trainingsprogramm sowie Tipps und Informationen rund um die Rückengesundheit gibt es unter aok.de/rueckentrainer
Dr. med. Helge Riepenhof ist Facharzt für Rehabilitationsmedizin, Orthopädie und Unfallchirurgie sowie Sportmediziner und Chefarzt im BG Klinikum Hamburg. Er ist einer der Ärzte, die in der NDR-Sendung „Die Bewegungs-Docs “ Menschen dabei helfen, ihre Gesundheitsprobleme anzugehen.