
Die Küche ist ein Treffpunkt für die Hausgemeinschaft. Alle Bewohner sind aber selten gleichzeitig im Haus.
Foto: Scheschonka
Abenteuer Groß-WG
Sonne scheint durch das bodentiefe Dachfenster. Mit einem großen Schritt steigt Noah Siebertz durch den Holzrahmen ins Freie. Vanessa Kowalewski folgt ihm aufs Dach. Sie lassen ihre Blicke über die Dächer des Goethequartiers schweifen. Das alte Mehrfamilienhaus, auf dem Noah und Vanessa thronen, unterscheidet sich äußerlich kaum von den Nachbarn. Doch hinter der Fassade sind seit Monaten neun Studenten am Werk für ein idealistisches Wohnprojekt.
Noah Siebertz gießt weiteres Teewasser auf, lehnt sich an die Küchenzeile. Während der 22-Jährige wartet, laufen seine Mitbewohner vorbei. „Ich weiß nicht, was ich kochen soll. Ich hab nur eine halbe Stunde Zeit. Vielleicht Nudeln?“, denkt Claas Both laut. Der Theologie-Student (20) macht ein Praktikum in der Region, ist für seinen Aufenthalt bei den neun Bremerhavener Studenten untergekommen. „Nudeln mit Tomatensoße müssten gehen“, erwidert Noah.
Der Wohn-Ess-Bereich im Dachgeschoss ist inoffizieller Treffpunkt der Hausgemeinschaft. „Es gibt in jeder Etage Badezimmer und Küchen, aber dieses Stockwerk ist gerade am besten ausgebaut und wird wohl auch später Gemeinschaftsraum für alle bleiben“, vermutet Noah. „Wir haben drei Wohnungen und drei Etagen. Die WGs sollen nicht voneinander isoliert sein, sondern wir wollen wirklich versuchen, eine Gemeinschaft zu schaffen.“
Unternehmerisch denken und handeln
„GIF-Villa“ nennen die Studenten das Gründerzeit-Haus. Alle studieren „Gründung, Innovation, Führung“ an der Hochschule Bremerhaven, kurz: GIF. Der im deutschen Sprachraum einzigartige Studiengang soll ihnen beibringen, wie man im Team unternehmerisch denkt und handelt. So unterschiedlich sie sein mögen: Der Team-Gedanke vereint sie und ist auch ein elementarer Aspekt des Wohnprojekts.
„Wir wollten zusammenziehen. Auch weil Corona Gruppenarbeiten, aus denen unser Studium zum Großteil besteht, erschwert“, so Noah. Der Wunsch, gemeinsam ein Haus zu kaufen, um Leben und Arbeiten zu vereinen, war eine GIF-Generation vor ihnen entstanden. Im vergangenen Oktober haben dann Noah und seine Freunde die Idee umgesetzt – auch wenn sie das Haus in der Kistnerstraße nicht gekauft haben, sondern zur Miete wohnen.
Knapp 300 Quadratmeter bewohnen die Studenten in der „GIF-Villa“, schätzen sie. Aktuell sind nicht alle Zimmer belegt, weil die erste Etage renoviert wird. Künftig können hier 12 bis 14 Personen wohnen.
Harmonisch zusammenleben
Fast alles haben sie selbst renoviert, gebaut, gebastelt. Der Tisch ist aus einem Umzugskarton und einer Holzplatte improvisiert, der Wasserhahn wurde mit einem Schraubenschlüssel als Halterung und Draht geflickt. „Kreativ statt perfekt“, sagt Till Biele (21). Während das Sofa noch weitgehend unbrauchbar im Wohnzimmer liegt, hat einer der Mitbewohner bereits einen beheizten Klodeckel gebastelt. So harmonisch das Zusammenleben in diesen Momenten auch erscheinen mag, sind sich Noah, Till, Vanessa und die anderen dennoch bewusst, dass eine WG dieser Größenordnung nicht immer problemfrei sein wird. „Wir sind sehr unterschiedliche und starke Persönlichkeiten – keiner nimmt sich zurück“, sagt Noah. „Deshalb ist es extrem wichtig, sich auszutauschen, um wirkliche Harmonie zu haben“, betont er. (lml)

„GIF-Villa“, nennen die Studenten das Haus in der Kistnerstraße im Goethequartier. Wenn Etagen ausgebaut sind, gibt es genug Platz für 12 bis 14 Personen.
Foto: Scheschonka