
Anja Müller vermittelt in ihrem Seminarhaus modernen Menschen altes Brauchtum rund um die Qualität der Jahreszeiten.
Foto: Lammers
Moderne Menschen suchen Kraft in uraltem Brauchtum
Kriege, Klimawandel, Künstliche Intelligenz - in einer Welt, in der das einzig Konstante die Veränderung ist, suchen Menschen zusehends Halt. Manch einer findet ihn in der Natur. „Wir sind ein Teil davon“, sagt AnjaMüller. Die Betreiberin der „Hexenwerkstatt“ in Beverstedt orientiert sich unter anderem an den unterschiedlichen Qualitäten der Jahreszeiten auf alles Leben. Wie sie bietet auch Manuela Bleeck in den „Freiräumen“ in Cuxhaven modernen Menschen Gelegenheit, Kraft aus altem Natur-Wissen undRiten zu gewinnen.
Wie Pilze aus dem Boden schießen in sozialen Medien wie Facebook, YouTube oder Instagram Beiträge, die sich mit einem Bewusstsein für die Natur im Rahmen einer Rückbesinnung auf uraltes Brauchtum beschäftigen. Ganz hoch im Kurs dabei war kürzlich das Zelebrieren der sogenannten Rauhnächte: „Gerade in der stressigen Zeit rund um Weihnachten und Silvester sind die Rauhnächte eine Möglichkeit, sich auf sich selbst zu besinnen“, verrät Manuela Bleeck, warum sie diesen Trend aufgegriffen und für ihre Yoga-Schüler eine Begleitung durch die Rauhnächte angeboten hat. Sie betreibt zusammen mit ihrem Mann das Erlebniszentrum „Freiräume“ in Cuxhaven, in dem Naturerleben einen Schwerpunkt bildet. Die Rauhnächte, ein aus dem Fundus nordischer Traditionen stammender Ritus, erstreckt sich auf die Zeit vom 25. Dezember bis zum 6. Januar. Dabei geht es um das Räuchern von Räumen mit Kräutern, dem bewussten Nachvollziehen von Trauminhalten und nicht zuletzt um das Verbrennen von Wunschzetteln für das neue Jahr.
Weg vom Außen zum Innen
„Rituale, Räuchern, Meditieren, das Eintauchen in die Natur könne helfen, bewusst nach innen zu schauen, sich selbst wieder zu spüren“, ist Manuela Bleeck überzeugt. Eine Fähigkeit, die wichtig für die körperliche und psychische Gesundheit sei, im modernen Leben aber häufig auf der Strecke bliebe.
Eine Beobachtung, die auch Anja Müller in ihrem Seminarhaus in Beverstedt macht. Ebenso wie das wachsende Bedürfnis moderner Menschen nach einer sinnstiftenden Rückbesinnung auf das Menschsein als Teil der Natur. Die Rauhnächte, aber auch das bewusste Erleben der speziellen Jahreskreis-Feste, wie sie die Menschen schon vor vielen Jahrhunderten gepflegt hätten, könnten hilfreich sein, sich wieder als Teil der Natur zu fühlen. „Und somit wieder bewusster für das eigene Sein zu werden“, erläutert Anja Müller das Prinzip. Und: „Natürlich auch, die jeweilige Jahreszeit-Qualität durch Rituale, Räucherungen, Aufenthalte in der Natur bewusst in das eigene Leben zu integrieren und zu nutzen.“
An der Wand des Ladengeschäftes in Beverstedt illustriert das bunte Bild eines Kreises, in dem die unterschiedlichen Jahreszeiten und Feste illustriert sind, was sie damit meint. „Insgesamt sind es vier Haupt- und vier Nebenfeste“, erklärt Anja Müller das Brauchtum. Das alles geht auf Naturbeobachtungen nordischer Völker zurück.
Dreh- und Angelpunkt der Bräuche sei stets der Stand der Sonne und des Mondes gewesen und „gleichzeitig der Zyklus vom Werden und Vergehen in der Natur“. Das gesamte Leben des Menschen sei Werden und Vergehen. Tag für Tag, Jahr für Jahr, von der Geburt bis zum Tod.
Tages- und Nachtgleiche
Wie sehr moderne Menschen immer noch mit diesen Rhythmen verbunden seien, spüre manch einer in der dunklen Jahreszeit. „Viele Menschen fühlen sich im Winter schlapp“, nennt Anja Müller ein Beispiel. Das läge nicht selten daran, dass diese Zeit ursprünglich allem Leben als Zeit des Rückzugs und der Innenschau diente. „Heute machen wir das elektrische Licht an und leben so weiter, wie immer, während die Menschen ursprünglich mit dem Untergang der Sonne auch ihr Tagewerk einstellten, zur Ruhe kamen.“ Heute lebten die Menschen oft entgegen dieser inneren Uhr. „Und etlichen geht es damit nicht gut“, so die Beobachtung von Anja Müller.
Jahreskreis-Feste
Die jeweiligen Jahreskreis-Feste erinnerten daran, was die „Stunde gerade schlägt“. In der Natur und damit, so Anja Müller, auch in uns selbst. Das nächste Mal am 20. März dieses Jahres. „Dann feiern wir Ostara. Das Fest der Tages- und Nachtgleiche“, sagt Anja Müller, die das genaue Datum von Ostara, Imbolc, Beltane, Yule, Samhain und Co. ausrechnet. „Von Ostara an wird nun der Tag wieder länger als die Nacht. Der Frühling wird wiedergeboren, die Sonne gewinnt spürbar an Kraft, und die Zeit des Wachstums und der Fruchtbarkeit beginnt. Licht und Dunkel befinden sich im Einklang. Wir feiern das Erwachen der Natur aus dem Winterschlaf.“
In der Natur meditieren
In die Natur gehen, dort meditieren und das Spüren der Bäume stehen dann für Anja Müller und die Teilnehmer dieses Jahreskreisfestes auf dem Programm. Durch das auf diese Weise bewusste Erleben dieser speziellen Zeit-Qualität gelänge es auch den modernen Menschen, sich wieder als Teil der Natur wahrzunehmen und sich so auf das Wiedererwachen der Lebensgeister einzuschwingen. „Für Menschen unserer Zeit, in der das gesamte Sein oft von Stress und dem Leben im Außen bestimmt. Sich im Einklang mit der Natur zu fühlen, kann helfen, sich auf sich selbst zu besinnen“.

Räuchern spielt eine große Rolle bei den Jahreskreisfesten. Carmen Parel aus der „Hexenwerkstatt“ zeigt eine spezielle Mischung für Ostara, das in diesem Jahr auf den 20. März fällt.
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