
Auf dem MPS in Rastede herrscht immer buntes Treiben.
Foto: Claudia Körner
Viele Menschen tauchen in ihrer Freizeit ins Mittelalter ein
Eine Karibik-Kreuzreise ist sicherlich für viele Menschen ein Lebenstraum.Eine Zeitreise würde aber vermutlich auf noch erheblich mehr Interessenten stoßen. Blöderweise hat die Technik bislang noch kein entsprechendes Vehikel erfunden. Zum Glück lässt sich zumindest ein Faible für das Lebensgefühl längst vergangener Zeiten aber auch jetzt schon intensiv erfahren:in einem Heerlager beispielsweise.
Johannes Beykirch wechselt auf diese Weise immer mal wieder die „Zeitzonen“. Bis zu zehnmal im Jahr. Immer dann, wenn irgendwo in Norddeutschland Mittelalter- oder Museumsmärkte anstehen, sind die Chancen gut, Beykirch mit seinem Heerlager „Blendingur“ anzutreffen. „Das bedeutet Mischling“, erklärt Beykirch die Bedeutung des Begriffs. Und: „Unsere Gruppe ist nicht auf eine bestimmte Epoche festgelegt. Es geht uns nicht darum, eine bestimmte Epoche besonders authentisch abzubilden, sondern darum, miteinander Spaß daran zu haben, jeweils in das Zeitalter einzutauchen, das einen besonders fasziniert. Das ist sehr individuell.“ Und so schlüpfen die durchschnittlich zehn Mitglieder des „Blendingur“-Heerlagers unter anderem in die Rollen von Wikingern, Piraten und auch schon mal die des mittelalterlichen Pest-Gepeinigten.

Johannes „Jojo“ Beykirch hat den Dudelsack immer dabei, um zu spielen.
Foto: privat
„Das hängt auch sehr von dem jeweiligen Programm der Veranstaltung ab, bei der wir gerade dabei sind.“ Beim „Mittelalterlichen Phantasie Spectakulum“ (MPS) in Rastede beispielsweise sei den ganzen Tag Programm. „Da sind wir dann durchaus mal bis 23 Uhr eingebunden“, berichtet der 26-Jährige euphorisch, und erzählt, wie er beim Pest-Umzug in die Rolle des Geißlers schlüpft und beim Lederballringen völlig ungewohnte sportliche Disziplinen erlebt.
So vielfältig wie die historischen Figuren, in die sich die Mitglieder von „Blendingur“ hineinversetzen, so unterschiedlich sind die Berufe, denen sie im Alltag nachgehen: „Altenpfleger, Sanitäter, Biologen, Maschinenbau-Ingenieure, Flugzeugbauer“, zählt Beykirch auf.
Enormer Aufwand
Er selber arbeitet als Industriemechatroniker. Wenn er von seinem Hobby erzählt, spricht seine Mimik Bände: von der Begeisterung des Lebens rund um einen Feuerkelch, vom Nächtigen unter freiem Himmel, von der Gemeinschaft derer, die sich, wie er, in vergangene Jahrhunderte reinfühlen. „Das alles klingt sehr romantisch“, sagt Beykirch, hält kurz inne und berichtet dann von dem enormen Aufwand, den es braucht, bis so ein Heerlager schlussendlich dort steht, wo es hin soll. „Da treffen wir uns dann zumeist schon unter der Woche, um den Anhänger zu beladen“, erzählt
Beykirch, der von seinen Freunden Jojo genannt wird. Damit ist es aber natürlich noch lange nicht getan, denn „die Zelte und Schlafstätten aufzubauen, das Heerlager am Zielort so einzurichten, dass es stimmig ist, ist oft ein echter Kraftakt. Besonders, wenn es regnet.“ Dennoch: „Alles, was es braucht, wird als Gemeinschaft erledigt. Das schweißt die Gruppe zusammen und der Zusammenhalt ist es, der das Ganze so besonders macht.“ Ein Gros der Vorbereitungen für so einen Heerlager-Einsatz allerdings erledigen Beykirch und seine Lebensgefährtin: „Die Anmeldungen bei den Veranstaltern und die bürokratischen Erfordernisse zum Beispiel.“ Denn die sind - Zeitreise hin, Zeitreise her - ganz und gar gegenwartsgetreu.

Gaukelei, Zauberei und Puppenspiel dürfen auf einem Mittelalterfest nicht fehlen.
Foto: Claudia Körner
Nähe zur Natur
Allen Mühen zum Trotz: „Wenn wir dann so alle beieinander an der Feuerschale sitzen, zusammen essen und Musik machen, die Einheit mit der Natur fühlen, ist es einfach genial.“ Eichhörnchen, Vögel und gelegentlich sogar mal ein Reh ließen sich in dem Heerlager blicken: „Traumhaft“, schwärmt Beykirch. Die Nähe zur Natur sei für ihn ein ganz besonders wichtiges Argument für sein Hobby. Etwas, was in der heutigen Zeit immer seltener werde. Deswegen „vermeiden wir natürlich Plastik im Lager, Handys werden nur im Notfall benutzt“.
Während er berichtet, schwingt in jedem seiner Worte mit, wie sehr er es liebt, im „Blendingur“ die Rolle des Johannes Beykirch des 21. Jahrhunderts mit der Person einer längst vergangenen Zeit zu tauschen. Und so hat er auch an diesem doch etwas kühlen Januar-Tag nicht auf seine Barfuß-Schuhe verzichtet. Eine kleine Schnittmenge zwischen diesen beiden Welten. Denn wenn er im Heerlager in Plaid und Leinenhemd unterwegs ist, dann am liebsten barfuß. Und weil die Mittelalter- oder Museumsmärkte zumeist im Frühling, Sommer und Herbst Saison haben, liegt das Ausleben dieser authentischen Kleidervorliebe nahe.
Der Dudelsack ist immer dabei
Unter anderem in Winschoten, Bückeburg und natürlich Rastede war Beykirch bereits bei solchen Veranstaltungen mit dabei. Stets im Gepäck: sein Dudelsack. Und während er ihm Lieder wie „Amazing Grace“ entlockt, zeigen die anderen Mitglieder des „Blendingur“ Schmiede- und Schnitzarbeiten oder das Nähen von Hand.
„Dieses Hobby ist längst zum gesellschaftlichen Zentrum meines Lebens geworden“, stellt Beykirch nachdrücklich fest. Und so verwundert es nicht, dass auch immer wieder mal Einladungen zu Jahreskreisfesten anliegen: „Die urtümlichen nordischen Religionen stehen für mich zwar nicht im Mittelpunkt, die Riten laufen eher so mit. Aber sie orientieren sich stark an der Natur und gehören insofern auch zu der Begeisterung, die das Leben vergangener Jahrhunderte ausmacht.“

Wer sich passend einkleiden möchte, wird bei den vielen Händlern mit Sicherheit fündig.
Foto: Claudia Körner