Aeronauticum

Meine Nacht im Museum ist nicht filmreif – aber eine besondere Erfahrung.

Foto: Photographer:Heike Leuschner

FJ Cuxland

Aeronauticum: Nachts allein im Museum

25. Juli 2022 // 10:36

Nachts erwacht im Museum nichts und niemand. Mit Ben Stiller aus dem gleichnamigen Film „Nachts im Museum“ hätte die Büste von Ferdinand von Zeppelin im Aeronauticum sicher gesprochen. Mir begegnet sie in dieser Nacht jedoch mit beharrlichem Schweigen.

Eine Stunde vor Schließung des Aeronauticums komme ich in Nordholz an. Anders als die Besucher, die tagsüber ins Museum strömen, habe ich eine große Reisetasche mit Schlafanzug, Waschzeug und Proviant dabei. Was sein muss, muss sein. Die Dame am Empfang erkennt mich sofort. „Na, da will jemand wohl hier übernachten“, sagt sie und lächelt. In der Tat. Heute Nacht schlafe ich im Museum. Das erste Mal in meinem Leben. Und das nicht irgendwo, sondern zwischen großen Vitrinen und altehrwürdigen Exponaten aus der Geschichte der Luftfahrt. Der Schlaf-Cube von sleeperoo machts möglich.

Deutschlandweit übernachten

An verschiedenen Orten in Deutschland sind die Würfel des Hamburger Unternehmens zu finden. Sie sollen zu klimafreundlichen Ferien in der Heimat einladen. Auch in der Europa-Einkaufspassage in Hamburg oder auf verschiedenen Alpaka-Höfen kann man in dem Würfel nächtigen. Das Konzept überzeugte 2018 selbst die kritischen Investoren der Fernsehsendung „Höhle der Löwen“.

Sleeperoo Aeronauticum

In den Sommermonaten steht der Sleeperoo zwischen historischen Fluggeräten auf dem Außengelände des Aeronauticums.

Foto: Photographer:Heike Leuschner

Nachdem ich die „Chillbox“ von sleeperoo und eine sehr ausführliche Einweisung vom Museumspersonal bekommen habe, weiß ich, welche Tür ich nach Ende der Geschäftszeiten nutzen darf. Gut so. Schließlich will ich nicht unbedingt Polizei oder Feuerwehr auf den Plan rufen. Doch noch sind Besucher im Museum. Ich bin eine von ihnen und erkunde erst einmal das riesige Außengelände, solange es noch hell ist. Das Flugzeug, in dem der ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl am 31. August 1990 zur Unterzeichnung des Vertrages zur Deutschen Einheit nach Berlin geflogen wurde, fasziniert mich besonders. Dann eine Durchsage: Alle Gäste mögen sich zum Ausgang begeben. Feierabend. Mich betrifft das nicht. Langsam steigt die Aufregung in mir hoch, denn gleich bin ich allein. Allein mit Maschinen und Vitrinen. Es ist still. Mucksmäuschenstill.

Aeronauticum

Foto: Photographer:Heike Leuschner

Nachts im Museum

Was nun? Zuerst erkunde ich meinen heutigen Schlafplatz. Der sogenannte Cube – zu deutsch Würfel – ist genau das, was der Name auch verspricht: ein simpler Würfel. Die Außenwände sind weiß, innen liegt eine 1,60 Meter mal
2 Meter große Matratze mit Bettzeug aus. Dunkelgrau und frisch. Dass mein Schlafplatz für diese Nacht so geräumig sein wird, hätte ich nicht gedacht. Mit meinen 1,65 Metern kann ich sogar aufrecht stehen. Insgesamt drei Leute – zwei Erwachsene mit Kind – hätten hier maximal Platz. Gespannt bin ich auch auf die „Chillbox“, die mir anfangs überreicht wurde. Was da wohl drin ist? Beim Öffnen entdecke ich nicht nur vegane Snacks und alkoholfreies Bier, sondern auch Toilettenpapier und eine Mülltüte. Selbst an einen Flaschenöffner hat Julius, der Mitarbeiter von sleeperoo, beim Verpacken gedacht. Brezeln oder Reiswaffeln – was nehme ich? Keines von beiden. Die Aufregung verschlägt mir glatt den Appetit. Den Apfelsaft aus der Box trinke ich aber sehr gerne. Dann gehts auf Erkundungstour durchs leere Gebäude. Mir begegnen erste Ideen zum menschlichen Fliegen, ich sehe Erfolge und ihre Umsetzung, werde Zeuge von ausgestellten Tragödien und Unfällen. Jede Beschreibung der zahlreichen Exponate lese ich genau durch. Die Zeit steht still.

Es fühlt sich verboten an

Obwohl der Verfahrenstrainer Breguet Atlantic – die vollständig ausgestattete Zelle eines Seefernaufklärers – normalerweise nur bei Führungen betreten werden darf, ist es mir ausdrücklich erlaubt, mich genauer darin umzusehen. Gesagt, getan. Auch bei Tag hätte mir dies viel Spaß gemacht. Hier ist weit weg von der Welt.

Draußen bricht die Nacht über Nordholz herein. Plötzlich einsetzender Regen hindert mich nicht daran, den Flugzeugen näherzukommen. Eine Taschenlampe aus meinem Schlaf-Cube – sie wird von Hand betrieben – weist mir den Weg durch die Dunkelheit. Es fühlt sich verboten an, zu dieser späten Stunde an den besonderen Flugzeugen vorbeizuschlendern. Nur die Lichter des Marine-Fliegerstützpunktes nebenan zeigen mir, dass ich nicht der einzige Mensch bin, der noch wach ist.

Der Regen wird stärker. Schnell husche ich wieder in die Fliegerhalle. Die Sonderausstellung zum Thema „Alles fliegt – Kinderspielzeug im Wandel der Zeit“ will ich noch sehen. Ganz ohne den Lärm von Kindern, die hier an mehreren Stationen spielen können. Aber spielen will ich nicht mehr. Der Tag war lang, Müdigkeit macht sich bemerkbar.

Aeronauticum

Auf Entdeckungsreise im Außenbereich.

Foto: privat

Sirenen vom Marinestützpunkt

Einschlafen funktioniert nicht so schnell

Im Cube ziehe ich den Schlafanzug an, mit Handtuch und Zahnbürste betrete ich die Waschräume, in denen sich sonst Besucher tummeln, putze mir die Zähne. Irgendwie fühle ich mich beobachtet. In der Beschreibung meiner Buchung steht zwar geschrieben, dass der Schlafwürfel und seine Bewohner nicht gefilmt werden dürfen. Dennoch ziehe ich in meinem Cube an allen Seiten den Sichtschutz runter. Wecker stellen, Wasser trinken, Einkuscheln. Doch an Einschlafen ist erst einmal nicht zu denken. Ich höre lange, wie der Regen auf die Decke der Fliegerhalle prasselt. Vom Marinestützpunkt dringt Sirenenklang herüber. Doch irgendwann sind Matratze und Bettdecke zu verlockend. Ich schlafe ein, umgeben von Fliegerschichten.

Am nächsten Morgen reißt mich jedoch nicht der Wecker aus dem Schlaf, sondern das Knallen einer Tür. Wo bin ich? Ich ziehe den Sichtschutz zur Seite: Den Anblick eines Zeppelin habe ich zu dieser frühen Stunde noch nicht gehabt. Aufstehen. Anziehen. Ich packe meine Sachen. In der Eingangshalle höre ich, wie sich langsam die Mitarbeiter des Museums auf den Tag vorbereiten. Ich muss zurück in die Wirklichkeit.