Eine Frau sitzt im Hintergrund an die Wand gelehnt mit der Hand am Kopf. Im Vordergrund eine Flasche Rotwein und ein Glas

Wenn man den Eindruck hat, dass eine nahestehende Person eine Sucht entwickelt hat, sollte man das Gespräch suchen.

Foto: Colourbox

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Die Sucht der Anderen

9. August 2024 // 12:00
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Ist ein Mensch abhängig, leiden oft auch die Familie und Freunde darunter. Die Bremer Suchtberaterin Edith Hatesuer gibt Tipps, wie man Erkrankten helfen und sich selbst schützen kann.

Was kann ich tun, wenn ich den Verdacht habe, dass jemand eine Sucht entwickelt hat?

Für einen Angehörigen kann es hilfreich sein, zunächst eine Suchtberatungsstelle aufzusuchen. Manchmal ist es auch gut, mit Freunden zu sprechen, wie sie die Situation wahrnehmen. Anschließend sollte man das Gespräch mit der betroffenen Person suchen. Wichtig ist zu wissen, dass Angehörige keine Diagnose stellen müssen „Wie schätzt du das für dich selbst ein?“, wäre eine Frage, die man stellen könnte.

Hintergeht man die suchtkranke Person nicht, wenn man ohne ihr Wissen bei einer Beratungsstelle oder im Freundeskreis über sie spricht?

Auf keinen Fall. Es geht darum, Informationen einzuholen. Wenn man ein schlechtes Gewissen deswegen hat, ist man schon mitten im Suchtsystem. Sucht hat ja viel mit Tabuisierung zu tun.

Wie gehe ich damit um, wenn die betroffene Person keine Krankheitseinsicht hat?

Wichtig ist, dass Angehörige ihren Suchtverdacht äußern. Man kann Unterstützung anbieten, zum Beispiel Kontaktdaten von Beratungsstellen zur Verfügung stellen. Auf keinen Fall aber sollte man einen Termin vereinbaren. Es ist wichtig, dass die betroffene Person selbst die Initiative ergreift. Das ist der erste Schritt zur Krankheitseinsicht.

Und was kann ich tun, wenn sich nichts ändert?

In einer Partnerschaft kann die nichtsüchtige Person zum Beispiel sagen: „Solange du unter Alkoholeinfluss stehst, rede ich nicht mit dir.“ Die betroffenen Personen müssen merken, dass es Grenzen gibt. Setzt man keine Grenzen, baut sich eine Co-Abhängigkeit auf.

Was bedeutet Co-Abhängigkeit?

Wenn Angehörige sich mit dem Konsum ihrer Liebsten unwohl fühlen, dieses Gefühl aber verdrängen und sich einreden, dass es ja nicht so schlimm ist, sind sie schon in der Co-Abhängigkeit verstrickt. Die eigenen Befindlichkeiten werden heruntergespielt und das Verhalten der konsumierenden Person relativiert. Dann heißt es: Na ja, er oder sie geht ja noch regelmäßig arbeiten. Dabei wird häufig übersehen, dass die Person emotional, aber nicht mehr so erreichbar ist wie ohne den Konsum.

Wie kann ich mich vor einer Co-Abhängigkeit schützen?

Mit einer ehrlichen Selbstreflexion. Man sollte sich fragen: Halte ich schon mehr aus, als ich aushalten kann? Wie glücklich bin ich mit dem Konsum des anderen? Was habe ich schon alles unternommen, um die Situation zu verbessern? Mit diesen Fragen, die meistens für die Angehörigen eher unangenehm sind, kann man sich vor Co-Abhängigkeit schützen.

Angehörige wollen ja meist helfen. Welche Grenzen hat die Fürsorge?

Wenn die suchtkranke Person in der Wohnung zum Beispiel Chaos hinterlassen oder sich übergeben hat, ist es nicht Aufgabe der Angehörigen, aufzuräumen oder sauberzumachen. Das sollte die Person machen, die die Situation verursacht hat. Hintergrund ist, dass sie mit dem Ausmaß des eigenen Konsums konfrontiert wird.

Ist das nicht sehr hart?

Das hat nichts mit Hartsein zu tun, das ist Klarheit. So werden Grenzen gesetzt: Du hast die Situation verursacht, also kannst du sie auch regeln. Das Gleiche gilt natürlich für den Anruf wegen einer Krankmeldung, weil noch zu viel Restalkohol im Blut ist. Je mehr die betroffene Person mit den Auswirkungen des eigenen Konsums konfrontiert wird und Eigenverantwortung übernimmt, desto größer ist die Chance der Krankheitseinsicht.

Weitere Informationen zum Thema Sucht bei der AOK Bremen/Bremerhaven.

Das Interview führte Janet Binder.