Vater vor Kindern mit Alkoholflasche in der Hand

Ist ein Elternteil suchterkrankt, kann das gravierende Folgen für die Kinder haben.

Foto: Colourbox

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Sucht: Die Kinder leiden mit

13. September 2024 // 00:00
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Ist ein Elternteil suchterkrankt, kann das gravierende Folgen für die Kinder haben. Oft merken diese erst als Erwachsene, woher ihre Probleme kommen.

Katrins* Kindheit ist geprägt von der Sucht ihres Vaters. Er ist schwer alkoholabhängig und aggressiv. Permanent sei sie auf der Hut gewesen, erinnert sich Katrin, die heute 58 Jahre alt ist. „Ich rechnete jederzeit damit, eine gepfeffert zu kriegen.“ Als die Bremerin 14 Jahre alt ist, trennen sich die Eltern. Sie selbst habe sich jedoch weiterhin für den Vater verantwortlich gefühlt. „Ich habe seine Wohnung sauber gemacht, für ihn eingekauft.“ Als der Vater stirbt, löst Katrin seine Wohnung auf – hochschwanger und ganz allein. „Ich fand es normal, dass mir keiner hilft“, sagt sie im Rückblick.

NACOA kümmert sich um Kinder von Suchtkranken

Solche Sicht- und Verhaltensweisen wie die von Katrin kennt Edith Hatesuer gut. Seit mehr als 20 Jahren ist sie in Bremen als Suchtberaterin tätig. Zudem ist sie die Bremer Regionalsprecherin von NACOA – Interessenvertretung für Kinder aus Suchtfamilien. „Kinder aus Suchtfamilien fühlen sich oft überverantwortlich, sie sind besonders leistungsbereit und überfordern sich“, erläutert die Suchtexpertin. „Oft wurden sie trotzdem von ihren Eltern nicht wertgeschätzt, daher glauben sie, dass es nie genug ist, was sie tun.“

Zehn Prozent der Bevölkerung belastet

Laut Jahresbericht 2020 der Drogenbeauftragten der Bundesregierung leben allein mehr als 2,6 Millionen minderjährige Kinder in Deutschland mit alkoholkranken oder drogensüchtigen Eltern zusammen. Schätzungen zufolge entwickelt jedes dritte betroffene Kind später selbst eine Suchterkrankung, ein weiteres Drittel eine andere psychische Erkrankung. NACOA geht davon aus, dass mindestens zehn Prozent der Bevölkerung in Deutschland in ihrer Kindheit durch ein familiäres Suchtproblem belastet wurden oder sind. Nicht wenige haben süchtige Partner. So war das auch bei Katrin. „Viele meiner Partner hatten ein Alkoholproblem“, erzählt sie.

Co-Abhängigkeit als Gefahr

Erst in einer Therapie wurde ihr bewusst, dass sie als Tochter eines alkoholkranken Vaters über viele Jahre co-abhängig war. „Ich habe zum ersten Mal verstanden, was mit mir los ist, warum ich immer die falschen Männer treffe und nicht glücklich bin“, erzählt sie. Immer habe sie sich um andere gesorgt, aber nicht um sich selbst.

„Co-abhängige Beziehungen basieren darauf, Anerkennung zu erhalten und Ablehnung zu vermeiden“, betont Suchtexpertin Hatesuer. „Das ist eine wunderbare Grundlage dafür, sich immer mehr anzustrengen, seine eigenen Bedürfnisse immer mehr zurückzunehmen.“ Mit ihrem Verhalten bewirkten Betroffene jedoch das Gegenteil.

Es gibt Hilfe bei verschiedenen Stellen

Was Katrin erlebt hat, ist kein Einzelfall. Im Idealfall sollten betroffene Kinder deshalb bereits in jungen Jahren von professionellen Stellen begleitet werden. Eine der wichtigsten Anlaufstellen ist NACOA – für Kinder und Jugendliche, aber auch Nachbarn, Erziehende oder Angehörige. Lehrkräfte können sich an das Landesinstitut für Schule (LIS) wenden, das Fortbildungen zum Thema anbietet. Im Rahmen der jährlich stattfindenden NACOA-Aktionswoche leitet auch Edith Hatesuer Fortbildungskurse. Gute Anlaufstellen sind zudem Selbsthilfegruppen.

Der Austausch in Selbsthilfegruppen kann helfen

Michel* (61) war mehr als 20 Jahre in einer solchen Gruppe. Er ist elf, als seine Mutter die Familie verlässt. Von da an kümmert er sich allein um den alkoholkranken Vater. Als er Mitte 30 ist, erschießt sich der Vater. Die Hausärztin schickt den Sohn zum Psychologen. „Zum ersten Mal hat mich jemand gefragt, wie es mir geht“, sagt Michel. Es folgen jahrelange Psychoanalyse und Klinikaufenthalte.

Es habe sehr lange gedauert, bis er gelernt habe, seine eigenen Bedürfnisse überhaupt wahrzunehmen, erzählt Michel. Durch den Austausch mit anderen Betroffenen habe er erfahren, dass er mit seinem Verhaltensmuster nicht allein ist. „Seit ein paar Wochen merke ich: Da ändert sich etwas.“

„Ich bin entschlossen, ein befreites Leben zu finden“

Katrin hat nach einem diagnostizierten Burnout noch einen ziemlichen Weg vor sich. „Ich weiß gar nicht, was ich will, was mir guttun würde: Da ist kein Gespür für mich selbst.“ Aufgeben will sie nicht. Demnächst beginnt ihre Reha, vorher lässt sie sich in einer Akutklinik behandeln. Und betont: „Ich bin eine Kämpferin und wild entschlossen, ein befreites und glückliches Leben zu finden.“

*Der Name ist der Redaktion bekannt

Hier finden Sie Unterstützung

Bei der Interessenvertretung NACOA erhalten Kinder und Jugendlichen aus suchtbelasteten Familien ein kostenloses Angebot aus Mail-Beratungen, Einzel- und Gruppen-Chats sowie Telefonberatung, auch anonym. Auch Lehrkräfte, Kita-Mitarbeitende, Angehörige oder andere Personen aus dem Umfeld von Suchtkranken können sich an die Beratungsstelle werden. Edith Hatesuer, Ansprechpartnerin NACOA Bremen: 0421 - 9601991; www.edithhatesuer.de
ACA ist eine Selbsthilfegruppe für erwachsene Kinder, die in suchtbelasteten Familien aufgewachsen sind. Das Programm basiert auf dem Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker, das an das Anliegen der Betroffenen angepasst wurde. ACA Bremen lädt Betroffene jeden Donnerstag um 19 Uhr ohne Anmeldung zu einem Treffen im Haus der Familie, Fehrfeld 7, 28203 Bremen. https://erwachsenekinder.org/meetings/aca-bremen/
EKS – Selbsthilfegruppe für Erwachsene Kinder von suchtkranken Eltern und Erziehern bietet Gruppentreffen in zahlreichen Orten. Ähnlich wie bei ACA wird nach dem Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker gearbeitet. Tel. 0800 - 12 35735, info@eksev.org, https://www.eksev.org/
Beratungsstelle Mädchenhaus Bremen, Zielgruppe sind Mädchen ab elf Jahren und junge Frauen. Das Angebot umfasst Beratungen mit und ohne Termin vor Ort sowie online, Tel.: 0421 - 33 65 444; https://www.maedchenhaus-bremen.de/

Gruppen-Angebote für Kinder ab 6 Jahren bietet die Kinder- und Jugendpsychiatrie des Klinikverbunds Gesundheit Nord. Erziehungsberechtigte müssen Kontakt aufnehmen. Mehr Infromationen unter: https://www.gesundheitnord.de/klinikum-bremen-ost/kinder-und-jugendpsychiatrie-psychotherapie-und-psychosomatik.html
Lehrkräfte können sich für eine Fortbildung zum Thema Sucht bzw. Co-Abhängigkeit an das Landesinstitut für Schule (LIS) wenden. Ansprechpartner: Oliver Peters, Gesundheit und Suchtprävention, Tel.: 0421 361-8314, E-Mail: oliver.peters@lis.bremen.de
Hilfe finden Angehörige auch beim „Arbeitskreis Alkohol – Selbsthilfe für alle Süchte“ (https://arbeitskreis-alkohol-bremen.de/). Dies ist ein Zusammenschluss von Vertretern und Vertreterinnen von Selbsthilfegruppen.
Unter https://www.netzwerk-selbsthilfe.com/hilfe-finden.html sind weitere Selbsthilfegruppen rund um das Thema Sucht zu finden.