
Es gibt Forderungen der Jäger, angesichts wiederholter Risse in Schafherden wolfsrudelfreie Zonen entlang der Nordseeküste zu schaffen.
Foto: Sina Schuldt/dpa
Kehrtwende in Sachen Wolfsschutz? Die schwierige Suche nach einer Lösung
Schießen oder schützen? Die Politik will Abschüsse von Problem-Wölfen erleichtern. Landwirten reicht das noch nicht - sie dringen auf feste Abschussquoten. Ist der Konflikt zwischen Schafhaltern und den geschützten Tieren lösbar?
Der Wolf verstört
Weidetierhalter sind in Aufregung, weil immer mehr Tiere über Zäune springen und Schafe reißen, aber auch Rinder und Ponys. Bürger haben Angst, dass ein Wolf ihnen zu nahe kommt. Manche berichteten, in ihren Ortschaften nächtliches Wolfsgeheul zu hören. Der Konflikt um den streng geschützten Wolf schwelt seit langem.
Mit dem Zuwachs der Wolfreviere und der Übergriffe auf Weidetiere sind die Forderungen lauter denn je, die Wolfzahlen deutlich zu begrenzen. Die Zahl der verletzten oder getöteten Nutztiere durch Wolfsübergriffe lag im Jahr 2014 unter 500, im vergangenen Jahr laut Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf (DBBW) bei mehr als 4000.
Die Politik auf Bundes-, Landes- und EU-Ebene lässt Bewegung erkennen, Einigkeit auch mit Landwirten und Jägern gibt es aber noch nicht. Sollen ganze Herden abgeschossen werden und es wolfsfreie Zonen geben? Eine schnelle Lösung scheint schwierig.
Wie reagiert die Politik auf die Sorgen der Tierhalter?
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte an, den strengen Schutzstatus, der eine Bejagung verbietet, zu überprüfen. Daten zu den Wolfsbeständen aus ganz Europa werden zunächst gesammelt. Zudem sollten Länder und Kommunen Spielräume für einen Abschuss problematischer Wölfe nutzen, so von der Leyen. Ein Wolf hatte vor etwa einem Jahr ihr 30 Jahre alte Pony nahe Hannover getötet.
Auch Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) will den Abschuss von jenen Tieren erleichtern, die trotz Herdenschutzzäunen mehrmals Tiere reißen. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) sagte, es müsse auch möglich sein, ganze Rudel zu „entnehmen“ - also zu töten.
Wie ist es bislang möglich, einzelne Wölfe zu schießen?
Eine Regelung, um den Abschuss einzelner Problem-Wölfe zu ermöglichen, gibt es bereits, aus Sicht von Lemke sind sie aber zu kompliziert. Unter anderem gelten genetische Untersuchungen anhand von Riss- und Fraßspuren als Voraussetzung als schwer handhabbar und zeitaufwendig.
Bereits im Jahr 2019 hatte der Bundestag beschlossen, einen Abschuss von Wölfen meist nach mehrmaligen Übergriffen auf Nutztiere zu erleichtern - im Bundesnaturschutzgesetz wurde ein neuer Paragraf aufgenommen. Die Zahl getöteter Tiere mit Erlaubnis der Behörden blieb seitdem aber niedrig. Im Wolfsland Nummer Eins - Brandenburg - wurde ein Tier mit einer Ausnahmegenehmigung geschossen. Dieser sogenannte Schaden stiftende Wolf hatte gelernt, Schutzzäune zu überwinden und riss bei mindestens 18 Angriffen mehr als 75 Nutztiere.
Was wollen Landwirte und Jäger?
Der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, Bernhard Krüsken, sagte der dpa, eine wirkliche „Öffnung“ in der Wolfspolitik sei nicht erkennbar. Notwendig sei eine „echte Bestandsregulierung“ beim Wolf, dessen Arterhalt nicht mehr gefährdet sei. Das heißt, die Zahlen sollen runter.
Jäger und Bauern fordern, den Wolf ins Jagdrecht aufzunehmen - in den Wolfsländern Niedersachsen und Sachsen ist dies inzwischen der Fall. Der Bauernverband betonte, niemand wolle den Wolf wieder ausrotten, aber es brauche auch jährlich festzulegende Abschussquoten. In Schweden und Frankreich etwa ist die Jagd auf Wölfe erlaubt.
Der Jagdverband hält wolfsfreie Zonen für sinnvoll - etwa an der Küstenschutzlinie mit den Deichen oder im Alpenraum mit der Almwirtschaft. Das Entstehen von Wolfsrevieren mit Rudeln sollte konsequent verhindert werden. Den Ruf nach mehr und besseren Herdenschutzzäunen sieht der Bauernverband nicht als entscheidende Lösung. „Jede Zaunhöhe ist schon von Wölfen überwunden worden“, meint der Vorsitzende des Fördervereins der Deutschen Schafhaltung, Wendelin Schmücker.
Wie viele Wölfe gibt es in Deutschland?
Die Zahl der Rudel und besetzten Territorien - also ein Revier, das gegen fremde Wölfe verteidigt wird - nimmt seit Jahren deutlich zu. Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen liegen bei den Wolfs-Vorkommen an der Spitze, mittlerweile wurde dem DBBW zufolge je ein Rudel aber auch in Bayern und Hessen nachgewiesen.
Offiziell wurden laut Bundesamt für Naturschutz laut Monitoring-Daten der Länder für das Wolfsjahr 2021/2022 (von Mai bis April des Folgejahres) 161 Wolfsrudel, 43 Paare und 21 Einzeltiere gemeldet. Neuere Zahlen lagen noch nicht vor, wie es von der Behörde vor kurzem hieß. Weidetierhalter und andere Organisationen wie der Bauernverband gehen nach Hochrechnungen davon aus, dass es etwa 1200 bis mehr als 2000 Tiere gibt.
Warum reißen Wölfe Weidetiere?
Auf dem Speiseplan der Wölfe stehen Rehe, Rothirsche und auch Wildschweine. Sie jagen aus Expertensicht aber einfach die Tiere, die sie am leichtesten überwältigen können. „Die geringe Wehrhaftigkeit und Fluchtfähigkeit der Schafe lösen beim Wolf wiederholt ein Jagd- und Tötungsverhalten aus“, so die DBBW. Es komme vor, dass die Raubtiere bei ihren Angriffen auch mehr Weidetiere töten als sie fressen können. Weidetierhalter bekommen Entschädigung für gerissene Tiere sowie finanzielle Förderung für Herdenschutzhunde und Zäune.
Warum ist der Wolf in Deutschland streng geschützt und darf nicht gejagt werden?
Deutschland ist bislang nach nationalem und europäischem Recht verpflichtet, den wildlebenden Wolf streng zu schützen. Denn es handelt sich nach Angaben des Bundesumweltministerium um eine natürlich in Deutschland vorkommende Tierart, die der Mensch jedoch in der Vergangenheit gejagt, vertrieben und ausgerottet hatte. Vor Jahrzehnten wanderten Wölfe vor allem aus Polen wieder ein. Im Bundesnaturschutzgesetz heißt es unter anderem: „Es ist verboten, wildlebenden Tieren der besonders geschützten Arten nachzustellen, sie zu fangen, zu verletzen oder zu töten (...).“
Sind Wölfe für Spaziergänger gefährlich?
Es ist laut Umweltministerium nicht ungewöhnlich, dass Wölfe gelegentlich in Sichtweite von bewohnten Gebäuden entlanglaufen und durch Dörfer streifen. „Die Erfahrung zeigt, dass ein solches Verhalten in der Regel keine Gefährdung des Menschen darstellt“, heißt es. „Meistens weichen die Wölfe dem Menschen aus, noch ehe er sie bemerkt hat.“ Übergriffe auf Menschen gelten als sehr selten. Eine Ursache kann Tollwut sein, Deutschland gilt seit 2008 aber als frei von Tollwut.
Das Umweltministerin rät unter anderem, sich bei einer Begegnung mit dem Wolf ruhig zu verhalten und Abstand zu halten. Wenn er sich nicht zurückziehe, helfe lautes Sprechen und Klatschen, um sich bemerkbar zu machen. „Rennen Sie nicht davon, dies könnte ein Verfolgungsverhalten des Tieres auslösen.“ Spaziergänger sollten ihre Hunde in Wolfsgebieten immer anleinen. Denn es könne vorkommen, dass sich Wölfe für Hunde interessieren, weil sie in ihnen Artgenossen sehen.
Wie geht es im Konfliktfall Wolf weiter?
Landwirte und vor allem Schafhalter, die schnelle Änderungen beim Umgang mit dem Wolf fordern, warten auf konkrete Vorschläge von Bundesumweltministerin Lemke. Sie will sich kommende Woche dazu äußern. Dann können die Vorhaben auch bei der Umweltministerkonferenz von Bund und Ländern Ende November diskutiert werden.