„Fühle mich nie als kleiner Mensch“
Frau Urspruch, Millionen Menschen lieben Sie als gewitzte Rechtsmedizinerin Silke Haller im kultigen Münster-„Tatort“. Macht Ihnen die Rolle nach mehr als 20 Jahren noch Spaß? Natürlich liebe ich es, die „Alberich“-Rolle zu spielen. Im Herbst drehen wir eine neue Folge, und ich freue mich jedes Mal, dass es weitergeht. Es ist immer wie ein Klassentreffen, wenn man sich nach Wochen oder Monaten wieder sieht. Wir haben immer wunderschöne Themen und viel Humor beim Drehen, das ist ein großes Geschenk.
Der Münster-„Tatort“ spielt in einer eigenen Liga, was die Zuschauerzahlen angeht. Wie wichtig ist Ihnen das? Früher war mir die Quote nicht so wichtig. Aber inzwischen geht mein Blick am Montagmorgen auch immer auf die Zahlen: Wie hoch sind sie dieses Mal? Ich freue mich dann immer sehr, und den anderen geht es auch so, es gibt montags häufig einen regen Austausch zwischen, Jan, Axel, den anderen Kollegen und mir – und wenn wir uns wieder treffen, wird gefeiert.
Was hat Sie gereizt, nun für die neue ARD-Filmreihe „Einspruch, Schatz“ in die Rolle einer Anwältin zu schlüpfen? Es war für mich schön, Eva Schatz zu verkörpern: Da kann ich eine Anwältin spielen, die in spannende Fälle mit ihren Mandanten involviert ist, aber auch ihr Privatleben spielt eine sehr große Rolle. Sie hat eine Affäre, sie verliebt sich, hat mit Anfang 50 plötzlich wieder Schmetterlinge im Bauch, und das hat mir großen Spaß gemacht. Denn es ist ja im Grunde so im deutschen Fernsehen, dass die meisten Frauenrollen für Figuren zwischen 20 und 30 geschrieben werden, und dann wird es schon weniger. Mit 40 wird es oft eine Problemfrau, und ab 50 werden die Frauen im Fernsehen unsichtbar.
Und das muss man ändern? Das muss man auf jeden Fall ändern! Die Idee hinter „Einspruch, Schatz!“ ist ja, dass wir das Konzept der 80er-Jahre-Serie „Ich heirate eine Familie“, die ich als Kind sehr mochte, umkehren und an unsere heutige Zeit anpassen. Damals hat ein Single-Mann eine Familie kennengelernt, bei uns ist es eine Single-Frau. Eva Schatz verliebt sich in einen Witwer mit drei Kindern, erlebt in der Familie viele Turbulenzen. Es geht auch um die Wechseljahre, ein Thema, das zu oft totgeschwiegen wird. Die Wechseljahre sind für Frauen irgendwann Realität, aber viele Männer wissen nur wenig darüber. Bei uns werden sie auf lustige Art und Weise thematisiert, zum Beispiel wenn es um Evas Stimmungsschwankungen geht. Da gibt es viel Situationskomik.
Hatten Sie Bammel vor den vielen Bettszenen? Immerhin leben Eva und ihr Partner ihre Liebe ausgiebig in Hotelzimmern aus… Eine romantische Geschichte zu erzählen, in der es auch sehr leidenschaftlich zugeht zwischen Mann und Frau, hat mich sehr gereizt. Bammel hatte ich nicht, weil ich einen guten Austausch mit dem Regisseur und dem Kameramann hatte, wir waren uns einig, dass es bei aller Leidenschaft immer diskret bleiben sollte und wir zum Beispiel keinen nackten Busen zeigen. Ich konnte immer mitreden und wurde in den entsprechenden Szenen immer gefragt, ob das gefilmte Material okay für mich ist. Das war mir wichtig.
Als Eva Schatz verlieben Sie sich Hals über Kopf. Ist Silke Haller alias Alberich eigentlich in Boerne verknallt? Sie ist natürlich unsterblich in Boerne verliebt! Sie hat nur keine Gelegenheit, das auszuleben und zu zeigen. Und umgekehrt ist es genauso, glaube ich. Aber erst wenn wir irgendwann einmal die letzte Folge unseres „Tatorts“ drehen, können sich die beiden ihre gegenseitige Liebe offenbaren, das dauert ja aber zum Glück noch ein Weilchen. Bis dahin heißt es: Was sich liebt, das neckt sich.
Hat Ihre markante Rolle als kleinwüchsige Rechtsmedizinerin im „Tatort“ dazu beigetragen, die Gesellschaft toleranter zu machen? Das glaube ich schon. Eine große Umwälzung der Gesellschaft schaffen wir damit nicht, aber doch eine schärfere Wahrnehmung, mit Andersartigkeit umzugehen. Ich treffe immer wieder Menschen, die mir sagen, dass meine Rolle ihnen unglaublich viel Mut macht. Die Rolle trägt tatsächlich sehr viel zur Selbstverständlichkeit von kleinen Frauen bei, das wurde mir schon mitgeteilt. Und wenn ich da so eine Art Vorbildfunktion ausüben kann, erfüllt mich das mit Stolz.
Der Größenunterschied zwischen Eva und ihrem normal großen Freund spielt in der Liebesgeschichte quasi keine Rolle… Es wäre eigentlich meine Idealvorstellung, dass solche Dinge gar kein Thema mehr sind. Wir erzählen das in der Reihe bewusst so, dass Unterschiede keine Rolle spielen. Das entspricht auch meiner eigenen Realität. Ich fühle mich nie als kleiner Mensch, ich kenne mich ja gar nicht anders, habe seit Jahrzehnten gar keine andere Perspektive auf meine Welt und meine Mitmenschen. Von daher empfinde ich auch keine Einschränkungen.
Im „Tatort“ spielen Sie eine Rechtsmedizinerin, nun eine Rechtsanwältin. Haben Sie sich speziell darauf vorbereitet? Urspruch: Ich habe eine Anwältin in meinem Bekanntenkreis und bin mit ihr die entsprechenden Szenen im Drehbuch durchgegangen. Sie glauben ja nicht, wie vertrackt diese Juristensprache ist: Die Wörter die ich vor Gericht verwenden muss, das ist wie eine Fremdsprache, die man sich aneignen muss, es war als würde ich Französisch sprechen. Ich konnte also nicht mal eben improvisieren.

© Thomas Kost
Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl, l-r), Staatsanwältin Wilhelmine Klemm (Mechthild Großmann), Prof. Karl-Friedrich Boerne (Jan Josef Liefers) und Silke Haller (ChrisTine Urspruch) sitzen in der Rechtsmedizin - eine Szene aus dem Münster-„Tatort“.

© ARD Degeto/Tom Schulze
Eva Schatz (ChrisTine Urspruch) teilt nicht nur den Anwaltsberuf mit dem charmanten Hanno (Wolfram Grandezka)

© weltkino Filmverleih/dpa
Als „Sams“ wurde ChrisTine einem Millionenpublikum bekannt.
Zur Person
- ChrisTine Urspruch (für das große T im Vornamen entschied sie sich als Teenager) kam 1970 in Remscheid zur Welt, im Alter von sechs Jahren wurde bei ihr Kleinwüchsigkeit diagnostiziert.
- Nach dem Abitur spielte sie zunächst Theater. 2001 verhalf ihr die Titelrolle als Fabelwesen Sams im Kinofilm „Das Sams“ zu Bekanntheit, ehe die Figur als Rechtsmedizinerin Silke „Alberich“ Haller an der Seite von Jan Josef Liefers und Axel Prahl sie zum Fernsehstar machte.
- ChrisTine Urspruch ist mit einem Theaterregisseur verheiratet, das Paar hat eine Tochter und lebt in Wangen im Allgäu.