„Ich nehme mich gerne selber auf die Schippe“

„Ich nehme mich gerne selber auf die Schippe“

Als Bremer „Tatort“-Kommissar wurde Oliver Mommsen bekannt, jetzt nimmt der Schauspieler seine langjährige Rolle als TV-Ermittler in der neuen Krimireihe „Mord oder Watt“ (Freitag, 10. November, 20.15 Uhr, ARD) auf die Schippe.

„Nehme mich auf die Schippe“

Oliver Mommsen spielt in neuer Rolle einen TV-Kommissar

Herr Mommsen, Millionen Menschen kennen Sie als früheren „Tatort“-Kommissar, in einer neuen Krimireihe spielen Sie jetzt einen Schauspieler, der als Fernsehkommissar ein Star ist. Also ein Stück weit sich selbst?
Die Figur wurde mir regelrecht auf den Leib getackert. Eigentlich war ich nach 17 Jahren „Tatort“ ein bisschen ermittlungsmüde. Ich schaue keine Krimis, ich lese keine Krimis, ich will keine Plastikpistolen mehr in die Hand nehmen – aber hier konnte ich nicht nein sagen. Sich selber auf die Schippe zu nehmen, kritisch zu betrachten und zu fragen: Wie viel von mir steckt eigentlich in diesem schnöseligen Typen drin? Das war ein königlicher Spaß!

Warum haben Sie und Sabine Postel damals eigentlich als Bremer Ermittlerteam Schluss gemacht?
Das hat sich bei uns beiden über die Jahre entwickelt, irgendwann war einfach der Moment erreicht. Ein Grund für mich war: Das, was ich als Kommissar zu spielen hatte, war überschaubar – in Bremen stand ganz oft der Fall im Vordergrund, was auch toll war. Aber für die Geschichte der Ermittler war da selten auch noch Platz. Und als mich jeder nur noch Stedefreund nannte und nicht mehr Mommsen, wusste ich: Da läuft irgendwie was schief. Ich habe mich auch dabei ertappt, dass ich dachte, den Stedefreund schüttle ich aus dem Ärmel. Das war ein Grund für mich, den Stecker zu ziehen. Sobald die Routine kommt, musst du als Schauspieler abhauen.

Verdreht man innerlich auch die Augen, wenn man als Kommissar zum x-ten Mal fragen muss: „Wo waren Sie zur Tatzeit?“
Ja, schon. Solche Klischees gibt es aber nicht nur im Krimigenre. Ich habe ja auch jahrelang in Krankenhaus-Serien gespielt, und einmal stand ich in meiner Rolle als Arzt im Praktikum am Krankenbett eines Patienten, der zu sterben drohte, und überwachte die Herzfunktion. Plötzlich machte das Gerät wieder Piep-piep-piep, und ich musste diesen Satz sagen: „Wir haben ihn wieder!“. Ich glaube, wir mussten die Szene 20-mal machen, weil ich mich so kaputt gelacht habe. Erst wenn Sie solche Standardsätze irgendwann locker über die Lippen bringen, beherrschen Sie das Handwerk wirklich.

In letzter Zeit häufen sich die angekündigten „Tatort“-Abschiede: Axel Milberg, Dagmar Manzel, Karin Hanczewski und andere hören auf. Verstehen Sie die Kollegen?
Man könnte meinen, es sei heutzutage nichts Besonderes mehr, „Tatort“-Kommissarin oder Kommissar zu sein, aber ich glaube, das ist die falsche Interpretation. Manche fühlen sich eben einfach wohl damit und merken, der „Tatort“ ist eine echt fette Marke, das macht ja auch mit dem eigenen Leben eine Menge. Und manche bekommen Angst, dass sie in eine Schublade gesteckt werden und wollen sich ihre Vielseitigkeit bewahren. Manche haben vielleicht auch die für sie falschen Drehbücher bekommen. Da gibt es tausend Gründe.

Haben Sie Ihren Ausstieg jemals bereut?
Ich hatte eine Weile schlaflose Nächte und auch jetzt denke ich noch manchmal: Bobby Ewing ist ja auch nach seinem angeblichen Tod in „Dallas“ wieder aus der Dusche rausgekommen – vielleicht hat Inga Lürsen Stedefreunds Tod ja auch nur geträumt und er kehrt zurück. Unsere Zeiten sind so verrückt, man macht sich Sorgen, wie lange das lineare Fernsehen noch funktioniert – der regelmäßige Job beim „Tatort“ war schon ein großer Luxus für mich. Aber auf der anderen Seite bin ich wieder so spielhungrig geworden, ich spiele Papas, Männer zwischen Frauen, Mafiosi, Eigenbrötler, Träumer - und niemand nennt mich mehr Stedefreund.

In der Regel spielen Sie Sonnyboys. Möchten Sie nicht öfter mal den Schurken spielen?
Natürlich möchte ich auch gerne Mörder und abgründige Typen spielen, aber das passiert nicht so oft, denn natürlich habe ich einen Stempel. Vor vielen Jahren, als ich in der Serie „Fieber – Ärzte für das Leben“ einen Doktor gespielt habe, stand im Drehbuch: „Er betritt den Raum und die Sonne geht auf.“ Aber das hat sich zumindest ein Stück weit geändert. Schon im „Tatort“ habe ich mich nicht mehr durch die Filme durchgelächelt, das war nicht mehr meine Aufgabe, und jetzt werden die Figuren, die ich spiele, allmählich Männer. Wenn auch solche, die das Kind in sich bewahrt haben.

Tim Seebach in Ihrer neuen Filmreihe ist der Star des fiktiven TV-Formats „Der Lux“ – was darf man sich darunter vorstellen?
Das habe ich unseren Regisseur auch gefragt. Er meinte, das sei so etwas wie „Kommissar Rex“ oder „Alarm für Cobra 11 – Die Autobahnpolizei“, auf jeden Fall ein Dauerbrenner. Seine Spezialität ist, dass er seine Stunts selber macht, aber das fällt ihm zunehmend schwer, und er hat Angst um seinen Job. Wir nehmen damit unter anderem auch diesen Jugendwahn in unserer Branche aufs Korn und die damit verbundene Gefahr, dass irgendwann die Karriere vorbei ist.

Ist es wirklich so schlimm?
Absolut. Wenn ich mit meiner Mutter gemeinsam fernsehe, sagt sie doch auch über den ein oder anderen Schauspieler: „Mann, ist der alt geworden“. Dann sage ich ihr: „Mami, wir haben auch das Recht älter zu werden!“ Aber Spaß beiseite: Meine Kollegin Gesine Cukrowski hat ja nicht umsonst in einer Initiative darauf hingewiesen, dass Frauen ab 47 zunehmend vom Bildschirm verschwinden. Da geht es den Frauen noch viel schlechter als uns Männern, aber diesen Cut gibt es auch bei uns. Die Auftragslage wird dünner, weil die Geschichten fehlen. Dabei soll das Fernsehen die Realität der Gesellschaft abbilden, und die hört ja nicht mit 47 auf. Klar gibt es geile Geschichten für junge Leute, aber was ist das für ein Fest, jemanden wie Maren Kroymann zu sehen, Gabriela Maria Schmeide, Günther Maria Halmer – da kannst du doch jeden YouTuber vergessen.

Sind Schauspieler eigentlich wirklich so eitel wie Tim Seebach, der sich die Haare färbt und sich für den Nabel der Welt hält?
Tim Seebach erfüllt all die Klischees, die viele Leute von Schauspielern haben. Er ist egozentrisch, wehleidig, überheblich, er verwechselt Realität mit Fiktion. Aber das passiert mir nicht. Bei unseren Gaststars im „Tatort“ konnte ich eines beobachten: Je größer der Star, desto weniger Allüren hat er. Jürgen Prochnow etwa hat seinen Stuhl selber durch die Gegend getragen, sich in die Sonne gesetzt und gute Laune verbreitet. So was finde ich großartig. Und ich vergesse nie, dass ich als Schauspieler immer nur stellvertretend für alle anderen, die an einem Film beteiligt sind, gelobt werde – oder auch mal auf die Mütze kriege, wenn er missglückt ist. (ski/yvo)

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Erstellt:
09.11.2023, 14:22 Uhr
Lesedauer: ca. 4min 23sec

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