Kriegsreporterin Katrin Eigendorf: „Ich habe mich nicht immer sicher gefühlt“

Kriegsreporterin Katrin Eigendorf: „Ich habe mich nicht immer sicher gefühlt“

Ob Afghanistan, Ukraine oder Naher Osten: Katrin Eigendorfs Job ist es, von den Krisenherden dieser Welt zu berichten. In ihrer Reportage „auslandsjournal frontlines: Tel Aviv – Metropole im Krieg“ (28.7., ZDF-Mediathek und 30.7., ZDF) schildert die Journalistin das Leben der Zivilbevölkerung in Israel vor dem Hintergrund des Gaza-Kriegs und des israelisch-iranischen Kriegs und beleuchtet die politischen Zusammenhänge.

„Ich habe mich nicht immer sicher gefühlt“

Kriegsreporterin Katrin Eigendorf zur Reportage „auslandsjournal frontlines: Tel Aviv – Metropole im Krieg“

Frau Eigendorf, für Ihre neue Reportage sind Sie in den Nahen Osten gereist, einen der wohl brisantesten Krisenherde unserer Zeit. Wo genau waren Sie unterwegs?

Wir hatten ursprünglich vor, im Westjordanland zu drehen, und es war auch schon alles so gut wie vorbereitet. Ich wollte eine Woche lang mit einer palästinensischen Familie leben, möglichst in deren Haus, und ihren Alltag teilen. Aber durch die gegenseitigen Raketenangriffe zwischen Israel und Iran mussten wir diesen Plan verschieben.

War die Angst um Ihre Sicherheit und die Ihres Teams zu groß?

Angst hat dabei keine Rolle gespielt. Glauben Sie mir: Im Osten der Ukraine zu arbeiten ist gefährlicher als während eines iranischen Raketenangriffs im Westjordanland. Aber wir hätten unsere geplante Geschichte, den Alltag unter Besatzung zu zeigen, nicht realisieren können, weil die Menschen vollauf damit beschäftigt waren, für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. Stattdessen war ich die meiste Zeit in Tel Aviv und Umgebung unterwegs, um zu dokumentieren, was der israelisch-iranische Krieg für die Zivilbevölkerung bedeutet.

Katrin Eigendorf

© Sonnenschein

Katrin Eigendorf

Haben Sie sich sicher gefühlt?

Nein, ich habe mich nicht immer sicher gefühlt. Wissen Sie: Bei jedem Alarm, der über eine spezielle Handy-App eingeht und der über eine Bedrohung mit Drohnen, Raketen oder anderen Gefahren informiert, müssen Sie so schnell wie möglich einen Schutzraum aufsuchen, müssen zum Beispiel mitten in der Nacht vom elften Stock ihres Hotels hinab in den Schutzkeller rennen. Immer wenn ich mit meinem Team irgendwo gedreht habe, haben wir vorher gecheckt: Wo ist der nächste Schutzkeller? Es war eine anstrengende Zeit.

Welche Begegnungen im Laufe der Dreharbeiten haben Sie besonders beeindruckt?

Ich habe mit zahlreichen Menschen gesprochen und fünf Protagonisten für die Reportage ausgewählt, darunter einen 23-jährigen Studenten. Den haben wir entdeckt, weil er in einem Haus lebt, das von iranischen Raketen getroffen wurde, mitten in Tel Aviv. Sein Klavier hat wie durch ein Wunder diesen Angriff überstanden. Er hat sich dann mitten in all dem Chaos hingesetzt und Chopin gespielt. Dieser Moment hatte eine große Schönheit, aber auch eine gewisse Absurdität. Israel befindet sich an einem historischen Wendepunkt, wo es wirklich um alles geht. Die Frage ist: Wie will der Staat Israel künftig existieren? Welche politischen Konzepte gibt es, das Zusammenleben mit der palästinensischen Bevölkerung in der Region zu organisieren? Ich sehe dafür keine Konzepte.

Gibt es etwas, das Ihnen Hoffnung macht?

Ich bin im Moment besorgt und relativ hoffnungslos. Wenn es kein Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern gibt, werden beide Gruppen keine Perspektive haben, in Frieden und Sicherheit zu leben. Im Moment sehe ich die Menschen eher im Kriegsmodus. Eine ältere Dame, Jahrgang 1953, deren Eltern als Holocaust-Überlebende 1951 nach Israel ausgewandert sind, sagte mir: „Wissen Sie, ich habe fünf Kriege erlebt – für mich ist Krieg normal.“ Ihr Sohn war gerade als Reservist in Gaza, ihre drei Enkelkinder kämpfen an verschiedenen Fronten. Junge Israelis, so sie denn überhaupt positiv denken, können nur sagen: „Wir werden irgendwann in Sicherheit leben.“ Aber wie, wann, zu welchem Preis – das weiß momentan kein Mensch.

Sie sind seit vielen Jahren als Fernsehreporterin in Kriegs- und Krisengebieten im Einsatz. Wie verarbeiten Sie all diese Eindrücke und Begegnungen mit traumatisierten Menschen?

Das ist ein gewisser Schmerz, den ich aus solchen Erlebnissen mitnehme. Ich beobachte die Lage im Nahen Osten seit 25 Jahren und ich sehe, dass beide Seiten immer mehr feststecken in ihrer Situation. Israelis und Palästinenser haben Mauern hochgezogen, die es ihnen unmöglich machen, das Leid des anderen in irgendeiner Form zur Kenntnis zu nehmen. Das alles macht mich unendlich traurig.

Können Sie es verstehen, dass Menschen angesichts der vielen schrecklichen Nachrichten in der Welt die Augen verschließen und sagen: Es ist einfach zu viel, ich will es nicht mehr sehen?

Ich kann das sehr gut nachvollziehen, ich selbst konsumiere Informationen nur sehr gezielt. Für uns Journalisten und für die Fernsehsender ist die Situation ja immer noch relativ neu. Ich erinnere mich: Vor rund sieben Jahren meinte meine Chefin mal zu mir: „Du wirst wahrscheinlich gar nicht mehr so viel in Krisengebiete reisen – es gibt aktuell nicht mehr so viele Kriege und Krisen. Du wirst hauptsächlich noch Studio-Vertretung machen.“

„Meine Kolleginnen und Kollegen von den Nachrichten müssen die Ereignisse zwangsläufig kompakt darstellen. Manchmal lässt einen das sehr hilflos zurück. Wir brauchen neue Formen von Journalismus. Wir müssen immer klar machen: Was hat das eigentlich mit mir zu tun?“

Jetzt sind wir in einer Lage, in der wir so viele Kriege und Krisen haben. Vor diesem Hintergrund müssen wir versuchen, unsere Berichterstattung in neuen Bahnen zu denken.

Was meinen Sie genau?

Meine Kolleginnen und Kollegen von den Nachrichten müssen die Ereignisse zwangsläufig kompakt darstellen. Manchmal lässt einen das sehr hilflos zurück. Wir brauchen neue Formen von Journalismus. Wir müssen immer klar machen: Was hat das eigentlich mit mir zu tun? Ich kann als Journalistin viel über Panzer in der Ukraine reden oder darüber, wie viele Drohnen abgeschossen wurden. Aber das sind abstrakte Dinge. Wenn ich hingegen eine Mutter zeige, die mit ihren Kindern seit drei Jahren von Haus zu Haus, von Unterkunft zu Unterkunft zieht, ermögliche ich meinem Zuschauer doch eine ganz andere menschliche Verbindung.

Worin sehen Sie Ihre persönliche Aufgabe als Journalistin?

Um bei der dramatischen Situation im Nahen Osten zu bleiben: Ich kann als Journalistin nicht mehr tun, als das unglaubliche Leid zu schildern. Als aufzuzeigen, mit welcher Konzeptlosigkeit und Brutalität auf der einen Seite die israelische Regierung vorgeht. Auf der anderen Seite, mit welchen menschenverachtenden Motiven Staaten wie Iran, aber auch Hamas, Hisbollah oder Putin agieren. Die Rückschlüsse daraus müssen meine Zuschauer selber ziehen. Ich bin keine Aktivistin, es ist nicht meine Aufgabe, den Zuschauer dazu zu bewegen, für die Sache der Palästinenser oder der afghanischen Frauen und Kinder zu kämpfen. Nichtsdestotrotz glaube ich: Das Schlimmste, was leidenden Menschen passieren kann, ist, dass ihr Leid nicht wahrgenommen wird. Ich sehe es als meine Aufgabe an, diese Menschen sichtbar zu machen.

In den sozialen Medien schlägt Ihnen für Ihre Beiträge oft Feindseligkeit entgegen. Gerade im Zusammenhang mit der Gewalt im Nahen Osten wird Ihnen vorgeworfen, den Konflikt zuweilen einseitig pro-israelisch darzustellen. Was sagen Sie dazu?

In meiner Situation macht man sich immer Feinde – das muss man aushalten. Was Menschen auf Social Media schreiben, gerade auf X, interessiert mich allerdings überhaupt nicht. Bei meinem eigenen X-Account gehe ich davon aus, dass ein Drittel derjenigen, die sich da äußern, russische Bots sind. Das nehme ich nicht ernst. Aber sachliche Kritik nehme ich sehr ernst. Einseitigkeit wird uns oft vorgeworfen. Es ist aber keinesfalls so, dass ich eine Anweisung bekomme wie: „Du, Katrin, das war jetzt aber zu pro-palästinensisch oder zu pro-israelisch.“ Ich habe die Freiheit, mir selbst ein Bild zu machen, wobei das im Nahen Osten schwierig ist – und genau das versuche ich immer transparent zu machen. Meine Aufgabe ist es, bei den Fakten zu bleiben und bei dem, was ich weiß, nicht, was die Leute oder der Mainstream von mir erwarten.

Seit Oktober 2023 sind Sie Sonderkorrespondentin des ZDF, welche weiteren Reportagen haben Sie für Ihre Reihe „auslandsjournal frontlines“ in Planung?

Wir planen noch in diesem Jahr die Reportage aus dem Westjordanland nachzuholen. Danach möchte ich mit meinem Team eine Geschichte über eine indigene Gemeinde im Regenwald drehen, wie deren Existenz von denjenigen bedroht wird, die Raubbau betreiben. Denn bei allen Kriegen und Krisen, über die wir jetzt gesprochen haben: Der Krieg, den die Menschheit gegen ihren eigenen Lebensraum führt, ist vielleicht der schlimmste Krieg von allen. (wil)

Kriegsreporterin Katrin Eigendorf

Zur Person

Katrin Eigendorf wurde 1962 in Tönisvorst in Nordrhein-Westfalen geboren und arbeitet seit den 90ern als Auslandskorrespondentin fürs Fernsehen.

Sie war Redakteurin im ARD-Studio Paris und RTL-Korrespondentin in Moskau, seit 1999 ist sie als Reporterin fürs ZDF im Einsatz.

Von 2015 bis 2017 war Eigendorf Korrespondentin im ZDF-Studio Moskau, 2022 machten ihre Beiträge über Putins Angriff auf die Ukraine sie einem größeren Publikum bekannt. Seit 2023 ist Eigendorf fürs ZDF als Internationale Sonderkorrespondentin im Einsatz.

Für ihre Arbeit erhielt die 63-Jährige viele Ehrungen, darunter den Augsburger Friedenspreis und den Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis.

Katrin Eigendorf lebt in Berlin. Sie ist mit dem Deutsche-Bank-Manager Jörg Eigendorf verheiratet, das Paar hat eine erwachsene Tochter.

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Erstellt:
26.07.2025, 09:00 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 23sec

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