Bei den Meisterschülern wird’s bunt
„Die Schau ist sehr visuell geworden“, freut sich Arie Hartog, der Direktor des Marcks-Hauses. Und er hat recht: So viele Positionen waren lange nicht in dem Bildhauer-Museum zu sehen - vereint in einer herrlich bunten und vielfältigen Schau. Die Arbeiten sprechen mehr die Augen an als den Kopf - selbst wenn sie im strengen Schwarz-Weiß daherkommen. Konzeptkunst gibt es natürlich auch, doch die nimmt längst nicht so viel Raum ein wie in den Vorgänger-Ausstellungen.
Wohin zeigt nun der Kompass der zeitgenössischen Kunst? Schwer zu sagen. Vom 3-D-Druck bis zur Performance ist alles dabei. Die Nadel schlägt in keine Richtung wirklich aus. Diese Offenheit unterstreicht der Titel „zip“, worunter wir meist ein komprimiertes Datenformat verstehen. Oder steht der Zischlaut doch eher für das Schließen und Öffnen eines Reißverschlusses?
Wir öffnen auf jeden Fall die Wundertüte dieser Ausstellung. Und staunen. Selbst die Malerei, oft totgesagt, ist wieder da. Es scheinen wieder mehr zu werden, die unbeirrt mit Pinsel und Palette oder dem Stift hantieren. Enric Freund zum Beispiel. In verschiedenen Ausführungen variiert er das gleiche Motiv: aus Kreisen und Strichen setzt er - fast wie auf einer Kinderzeichnung - eine riesige Sonne zusammen. Wiebke Mertens konzentriert sich auf Körperteile, eine Hand, ein Bein, ein Gesicht, die sie fast altmeisterlich mit Firnis überzieht. Mi-el Kwak beruft sich bei ihrem quietschbunten Paravent, den sie mit Fantasiewelten überzieht, auf die koreanische Tradition.
Einige Nachwuchs-Künstler kombinieren verschiedene Medien
Manchmal reicht die Malerei allein nicht aus. So kombiniert Shoji Matsumoto in seiner Installation „Der Name des Windes“ unterschiedliche Medien. Mit den Pinseln, die er unter den Atelier-Tisch stellt, kann er gar nicht arbeiten: die hat er aus Holz geschnitzt. Den Hocker davor gibt es deshalb gleich zwei Mal: etwas schräg gekippt als Bild an der Wand und ganz real in der Ausstellung. Yoriko Seto zeichnet Alltagsdinge wie Hausschuhe vor der Tür, rauchende Schornsteine. Daraus macht sie kurze Animationsfilme.
Ist das nun Malerei oder nicht? Diese Frage stellt sich vor der ehemals schwarzen Leinwand von Edson Colón Aguirre. Der Künstler hat sie in die pralle Sonne gelegt. Die hat ihr Werk so vortrefflich verrichtet, dass sie mit der Zeit grau geworden ist und nun Falten wirft.
Atsushi Mannami glaubt immer noch, er sei ein Maler, doch, so Direktor Hartog, „diesen Zahn musste ich ihm ziehen.“ Der gebürtige Japaner scheint wie ein Archäologe seltsame Objekte zu sammeln, nur dass er sie als Keramiken nachbaut. Dorsa Eidizadeh hat sich ebenfalls mit etwas Gefundenem auseinandergesetzt: mit dem Glockenspiel in der Bremer Böttcherstraße.
Recycling ist bei den Jungen angesagt: Franca Brockmann nutzt getragene T-Shirts, um daraus schwarze Buchstaben für ein Gedicht zu fertigen, das sich mit den Morden an Frauen auseinandersetzt. Ulises Gaspar Bimmermann packt in seine Glaskästen tote und lebende Insekten, Stöckchen, Blätter, Papier und Plastik-Müll.
Aus Plastikfeuerzeugen entstehen Skulpturen
Feuer und Eis - das sind die Themen der Performerin Carlotta von Haebler. Aus den Seiten eines Buches, das sich mit der Natur auf Island beschäftigt, erstellt sie die Kleidung für ihren Auftritt. Raphael Wutz integriert alte Plastikfeuerzeuge in seine Skulpturen. Und kombiniert Bierflaschen und Dosen mit einem 3-D-Druck.
Miko Nigo erinnert sich in ihrer 3-D-Animation an ihren Hund aus Kindertagen. Und Cantufan Klose macht die Besucher darauf aufmerksam, wie schwer es für Künstler heutzutage ist, bezahlbare Atelierräume zu finden.
Eines haben all die Jungen gemeinsam: Sie bekamen im vergangenen Jahr den letzten Feinschliff an der Hochschule für Künste in Bremen (HfK), waren dort Meisterschüler. Alle konkurrieren um den mit 18.000 Euro dotierten Karin-Hollweg-Preis - das ist eine der wichtigsten Auszeichnungen an deutschen Kunsthochschulen. Der oder die Preisträgerin wird außerdem mit einer Einzelausstellung in Bremen belohnt - wie gerade Martin Reichmann, der Preisträger des Vorjahres, in der Weserburg.
Die Jury, zu der unter anderem Christoph Grunenberg von der Bremer Kunsthalle, Arie Hartog vom Marcks-Haus, Frank Schmidt von den Museen Böttcherstraße und Annette Hans von der GAK gehören, verkündet ihre Entscheidung am 4. Juli.
Meine Entscheidung steht dagegen schon fest: Mir gefällt die Arbeit von Rui Dia am besten. Er hat aus 22.000 Papierhalmen eine Wiese ins Museum gebracht. Wenn sie von Strahlern angeleuchtet werden, leuchtet die Fläche gleißend hell. Wenn es dunkel wird, erstrahlen nur einzelne Worte. Und das spricht das Herz an.

© Sandra Beckefeldt/Marcks-Haus
Wiebke Mertens malt einzelne Körperteile mit Öl auf Papier.
Auf einen Blick
Was: „zip. Meisterschüler:innen der HfK 2024“
Wo: Gerhard-Marcks-Haus, Am Wall 208 in Bremen
Wann: Bis zum 18. August. Die Schau ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, donnerstags bis 21 Uhr