Queere Paradiesvögel erobern den Bildschirm

Queere Paradiesvögel erobern den Bildschirm

Wie queer ist das deutsche Fernsehen? Schillernde Entertainer wie Tanz-Juror Jorge Gonzalez oder Moderator Riccardo Simonetti für die Sichtbarkeit von Queerness und die Akzeptanz von Diversität stark.

Paradiesvögel erobern das TV

Entertainer wie Jorge Gonzalez oder Riccardo Simonetti machen sich für Diversität stark

Er macht aus jeder Sendung einen Laufsteg: Mal betritt Jorge Gonzalez das Studio der RTL-Tanzshow „Let‘s Dance“ in einer hautengen lila Lackhose, dann wieder mit gelben Federn geschmückt, und seine manchmal turmhohen Frisuren würden selbst Marie Antoinette neidisch machen: Der schwule Choreograph und Fernsehstar ist ein echter Paradiesvogel – und einer von etlichen queeren Entertainern, die in den vergangenen Jahren den Bildschirm erobert haben. Ob Conchita Wurst, Riccardo Simonetti oder Julian F.M. Stoeckel: Sie alle machen sich für die Sichtbarkeit von Queerness und die Akzeptanz von Diversität stark.

Conchita Wurst - eine Diva mit Vollbart

Zu den prominentesten Vertretern queerer Kultur in den Medien zählt der österreichische Sänger Tom Neuwirth alias Conchita Wurst, der 2014 beim ESC mit seiner Glamourballade „Rise like a Phoenix“ gewann – eine Diva mit Vollbart. „Was ich mir wünsche, wäre, dass sich die Leute ausgehend von meiner ungewöhnlichen Erscheinung Gedanken machen – über sexuelle Orientierung, aber genauso über das Anderssein an sich“, sagte der Künstler nach seinem Sieg.

Tom Neuwirth kennt man besser als Conchita Wurst. Im Jahr 2014 gewann der Travestiekünstler für Österreich den Eurovision Song Contest.

© Jens Büttner

Tom Neuwirth kennt man besser als Conchita Wurst. Im Jahr 2014 gewann der Travestiekünstler für Österreich den Eurovision Song Contest.

Längst ist Neuwirth eine der Ikonen der internationalen LGBT-Szene und als Fernsehmoderator gefragt: Zuletzt war er zum Beispiel Juror in der Castingshow „Ich will zum ESC“, die in der ARD-Mediathek lief.

Von der eigenen Make-up-Show aufs Traumschiff

Er glaube, „dass Diversität und gesellschaftskritische Themen durchaus unverkrampft in einer Prime-Time-Show stattfinden können“, sagt der 31-jährige Riccardo Simonetti aus Bayern. Der Autor des autobiografischen Bestsellers „Mama, ich bin schwul“, der schillernde Auftritte im Glamourlook liebt, moderiert die Make-up-Show „Glow Up“ (ZDFneo) und hatte an Ostern eine Gastrolle auf dem „Traumschiff“, dem altgedienten Unterhaltungsdampfer des ZDF. Im Nischenprogramm zu später Stunde war allerdings seine WDR-Talkshow „Salon Simonetti“ versteckt, in der er mit seinen Gästen über Toleranz und vielfältige Lebensentwürfe plauderte – unter anderem mit dem Entertainer Thomas Herrmanns, der schon mit 17 sein Coming-out hatte und 1993 den „Quatsch Comedy Club“ ins Fernsehen brachte.

Paradiesvögel von heute haben prominente Vorläufer

Die Paradiesvögel von heute haben prominente Vorläufer, Menschen wie die lesbische Hella von Sinnen oder die Dragqueen Lilo Wanders, die 1994 als Moderatorin der Erotiksendung „Wa(h)re Liebe“ (Vox) bekannt wurde. Zu den queeren Stars der neuen Generation zählt Modedesigner Julian F.M. Stoeckel. Der bisexuelle Entertainer wurde 2014 mit der Dschungelshow „Ich bin ein Star“ bekannt und sagte in einem Gespräch mit dem Podcast „Queerkram“: Natürlich sei er von RTL damals bewusst als „laute, schrille Tunte“ gecastet worden, letztlich habe er aber einfach er selber sein dürfen. Er glaube, dass die Reality-Show, in der unter anderem auch schon Travestiekünstler Olivia Jones mitmachte, zu mehr LGBT-Akzeptanz beigetragen habe. Zuletzt wirbelte der 37-jährige Berliner – Markenzeichen bunter Turban – die brave Kuchensendung „Das große Promibacken“ durcheinander und moderierte die Nackt-Kuppelshow „Naked Attraction“.

In Sachen Diversität hat sich im TV zuletzt viel getan

Aber wie divers ist das deutsche Fernsehen abgesehen von solchen extrovertierten Showstars tatsächlich? Viele Experten sind sich einig, dass sich zuletzt viel getan hat. In der Daily Soap „Alles was zählt“ heiratete neulich ein lesbisches Paar, die nächste „Bachelorette“ Stella Stegmann bei RTL ist offen für Männer und Frauen, und im Ersten ist Schauspieler André Kaczmarczyk seit 2022 als genderfluider „Polizeiruf 110“-Kommissar Vincent Ross mit Rock und Kajalstift zu sehen.

LGBT-Themen laut einer Studie weiterhin unterrepräsentiert im TV

Eine Auswertung der queeren Mediendatenbank QUEERmdb kam zu dem Schluss, dass LGBT-Themen auf dem TV-Bildschirm zwar weiterhin unterrepräsentiert seien, doch mit steigender Tendenz: „2023 war ein erfreuliches Jahr für queere Präsenz in deutschen Medien“. Queere Nachrichtenmoderatoren wie der nicht-binäre Janboris Rätz von „SWR Aktuell“, der sich weder als Mann noch als Frau definiert, oder die transgeschlechtliche „Newstime“-Sprecherin Kira Alin (Pro Sieben), sind allerdings bei weitem noch die Ausnahme.

Ricardo Simonetti macht sich stark für mehr Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen

© Annette Riedl

Ricardo Simonetti macht sich stark für mehr Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen

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Erstellt:
10.08.2024, 17:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 57sec

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