Reality-Boom im TV: Flirten und Fummeln für die Quote

Reality-Boom im TV: Flirten und Fummeln für die Quote

RTL schickt in einer Art Veteranen-Staffel Ex-Dschungelcamper zurück in seine grüne Promi-Vorhölle, in einer Rentner-Datingshow lässt der Kölner Sender einen Senior goldene Rosen an Singledamen über 60 verteilen. Realityshow haben Hochkonjunktur.

Fummeln für die Quote

Realityshows haben gerade Hochkonjunktur - Dschungelcamp startet

In der Rentner-Datingshow „Golden Bachelor“ lässt RTL bald einen Senior goldene Rosen an Singledamen über 60 verteilen, der Streamingdienst Joyn will in „Dr. Rick und Dr. Nick“ zwei Beauty-Docs beim Alltag in der Schönheitsklinik zuschauen, und im Jubiläumsspecial von „Ich bin ein Star“ (ab 16.8. bei RTL und bereits ab 15.8. bei RTL+) gehen Ex-Dschungelkandidaten wie Sarah Knappik oder Thorsten Legat noch einmal in den Busch. Kurzum: Eine ganze Welle neuer Realitysendungen kommt in nächster Zeit aufs Publikum zu. Das seichte Genre boomt mehr denn je – ungeachtet aller Kritik.

Star-Variante der RTL2-Kuppelshow „Love Island“

RTL2 etwa plant für den Herbst eine Star-Variante seiner Kuppelshow „Love Island“, deren Teilnehmer auch schon mal Sex vor laufender Kamera haben, und RTL setzt in Kürze wieder auf sein „Sommerhaus der Stars“, in dem halbwegs bekannte Paare in ein schäbiges Bauernhaus in Bocholt ziehen. Zusätzlich ist ein Spin-off des auf Krawall gebürsteten Formats in Vorbereitung, das schon oft mit Mobbing, Spuckattacken und Handgreiflichkeiten für Wirbel gesorgt hat – diesmal mit nicht-prominenten Teilnehmern.

Das alles ist nur die Spitze des Eisbergs. RTL+ zeigt 2024 insgesamt 19 Reality-Formate, darunter eine neue Staffel von „Die Bachelorette“. Und der Programmchef von Joyn, Thomas Münzner, sagte dem Branchendienst DWDL kürzlich: „Es wird sehr, sehr viel mehr Reality bei Joyn geben. Insgesamt haben wir gleich acht neue Staffeln und Formate beauftragt, die alle noch in diesem Jahr bei uns zu sehen sein werden.“

Medienkritiker Kalkofe sieht den Trend skeptisch

Aber woher kommt der neue Hype um die Realityshows? Immerhin ist die Kritik an dem voyeuristischen Mix aus Personalisierung, Emotionalisierung und Konfliktpotenzial so alt wie das Genre selbst, das im Frühjahr 2000 mit der Schlüssellochshow „Big Brother“ das deutsche Fernsehen eroberte. Medienkritiker Oliver Kalkofe sieht den Trend skeptisch: „Wenn in solchen Sendungen vor allem lautes und asoziales Verhalten belohnt wird, dann kommt beim Zuschauer irgendwann die Erkenntnis an: Aha, so sind die Leute da draußen jetzt also. Und damit ändert sich auch die wirkliche Realität.“

Er sieht den Realityshow-Boom skeptisch: TV-Lästermaul Oliver Kalkofe.

© Annette Riedl

Er sieht den Realityshow-Boom skeptisch: TV-Lästermaul Oliver Kalkofe.

Doch die Macher setzen ungebremst auf die Formate. Für RTL etwa ist die quotenstarke Dschungelshow ein wichtiges Zugpferd, die jüngste Staffel Anfang des Jahres mit Sängerin Lucy Diakovska als Siegerin erzielte bis zu 47 Prozent Marktanteil bei den 14- bis 49-Jährigen. Der Boom hat aber vor allem die Streamingdienste erfasst, schließlich ist die junge Zielgruppe der Realityshows eher auf Bezahlplattformen statt im klassischen Fernsehen unterwegs. Selbst der Streaming-Gigant Netflix setzt nicht mehr nur auf Filme und Serien, sondern auf Flirten und Fummeln. Der deutsche Ableger des US-Formats „Too Hot to Handle“ landete 2023 auf Platz eins der deutschen Netflix-Charts, und Amazon konnte mit der Show „The 50“ reüssieren, bei der 50 Reality-Sternchen in einem französischen Chateau gegeneinander antraten. Fortsetzungen beider Shows sind in Planung.

„Grundlegendes Interesse am Leben der Anderen“

Massentauglich und meist billig in der Herstellung: Für Netflix und Co., die ihre zahlenden Kunden mit immer neuer Ware bei der Stange halten müssen, sind Realityshows enorm attraktiv. Aber was macht die Gattung so unwiderstehlich für ihre vielen Fans? Ganz einfach, glaubt Joan Bleicher vom Institut für Medien und Kommunikation in Hamburg: „Generell gilt beim Reality-TV das grundlegende menschliche Interesse am Leben der Anderen.“ Und der Psychologe Peter Walschburger von der Freien Universität Berlin erklärt am Beispiel der Show „Promi Big Brother“, die bald bei Sat.1 in eine neue Runde geht: „Die Sendung spricht in gewisser Weise unsere uralte soziale Natur an.“ Weil der Mensch selber Millionen von Jahren in kleinen Sozialverbänden gelebt habe, sei es spannend zu sehen, wie sich die Showkandidaten in einer Gemeinschaftssituation verhalten.

Für den Fernsehmacher Rainer Laux schließlich, der vor 24 Jahren „Big Brother“ nach Deutschland holte und zuletzt „The 50“ produzierte, liegt das Erfolgsrezept in einer ganz einfachen Mischung: „Drama, Spaß, Eskapismus und viel Spannung.“

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Erstellt:
15.08.2024, 21:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 02sec

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