Rosenkavalier-Premiere: Operngenuss voller Rosen und völlig verrückter Typen

Rosenkavalier-Premiere: Operngenuss voller Rosen und völlig verrückter Typen

„Das komponier’ ich wie Öl und Butterschmalz“, orakelt Richard Strauss 1909. Zwei Jahre drauf erlebt „Der Rosenkavalier“ in Dresden seine epochale Uraufführung. 113 Jahr später feiern stehende Ovationen eine Bremerhavener Premiere zum Hinschmelzen.

Opulente Huldigung an das Theater

Ovationen für überragende „Rosenkavalier“-Premiere in der Regie Julius Theodor Semmelmanns

Ein Stadttheater im Rosenrausch: Überall im Foyer - gefüllte Vasen. Könnten Worte duften, wäre diese Beschreibung eines beglückenden Bremerhavener Theaterereignisses, des Festes der Stimmen, der hinreißend musizierten, bezaubernd inszenierten Strauss-Oper ein großes Rosen-Bouquet.

Denn was der Bühnenbildner und nun auch seine Visitenkarte als Regisseur von Karat abgebende Julius Theodor Semmelmann, was seine kongeniale Kostümbildnerin Carola Volles, Lichtbildner Thomas Güldenberg, was das opulent walzernde, wispernde, polternde, singende, mit leichter Hand Klänge malende Philharmonische Orchester unter Generalmusikdirektor Marc Niemann und das exquisit singende, spielende Ensemble auf die Bretter bringen, ist traumhaft. Eine einzige große Liebeserklärung an das Theater.

Sollten hier schreibend gerade ein paar Gäule durchgehen - bitt’schön, passt scho‘: Denn dieser erste „Rosenkavalier“ am Großen Haus nach 20 Jahren sprüht vor Verve, Einfallsreichtum, Tiefgründigkeit - und tänzelnder Eleganz.

Das vierstündige Werk geht optisch und akustisch wirklich runter wie „Öl und Butterschmalz“. Diese von hintersinnigen Gags gespickte „Wienerische Maskerad’“ glitscht dabei nie ab in Kitsch, bleibt der feinnervigen wie voluminösen Strauss-Partitur, dem geistreichen Hofmannsthal-Libretto in burlesker Commedia dell‘arte-Manier kein Jota an liebevoller Umsetzung schuldig.

Und das trotz Schnappatmung kurz vor der Premiere: Gast-Bassist Florian Spiess war so erkrankt, dass Chefdramaturg Markus Tatzig einen einspringenden „Ochs auf Lerchenau“ aus dem Hut zaubern musste. So ein Glück, dass Philipp Mayer den „Ochs“ gerade am Staatstheater Cottbus abgespielt und souverän „drauf“ hat.

Österreichischer Bassist rettet die Premiere

Der hochgewachsene gebürtige Linzer mit schlank geführtem, des deftigen Dröhnens wie des geschmeidigen Piano-Säuselns fähigen Bassbariton parliert lustvoll authentisch ein kurioses „Weanerisch“, das so kein echter Wiener spräche, aber vom Librettisten kreiert wurde, um unter der zuckrigen Fassade die verlauste K.u.K. Hofmonarchische Ära zu entlarven.

Demaskiert wird in dieser Oper alles Aufgesetzte - Fassaden, Gefühle, Gesellschaftsordnungen.

Er lässt nicht ab, der Lüstling und abgebrannte Baron Ochs auf Lerchenau (als Gast Philipp Mayer, Mitte) von der jungen frechen Sophie (eine kesse Motte: Victoria Kunze),  unter den Augen der Öffentlichkeit: Im Beisein Octavians (wunderbar vielfarbig Boshana Milkov, links), dem Intriganten-Pärchen Valzacchi (Andrew Irwin) und Annina (Eva Maria Summerer) bedrängt der klamme Baron Octavians große Liebe.

© Sandelmann/Stadttheater

Er lässt nicht ab, der Lüstling und abgebrannte Baron Ochs auf Lerchenau (als Gast Philipp Mayer, Mitte) von der jungen frechen Sophie (eine kesse Motte: Victoria Kunze), unter den Augen der Öffentlichkeit: Im Beisein Octavians (wunderbar vielfarbig Boshana Milkov, links), dem Intriganten-Pärchen Valzacchi (Andrew Irwin) und Annina (Eva Maria Summerer) bedrängt der klamme Baron Octavians große Liebe.

Und das inszeniert Semmelmann saukomisch, hintersinnig, zärtlich. Mal stellt er Wimmelbilder skurriler Typen in seine fein ziselierte Rokoko-Papiertheater-Kulissen, lässt augenzwinkernd einen Mozart-Papageno und eine „Salome“ mit Jochanaans abgehauenem Kopp herumgeistern - und mal hält er im Kreiseln der Drehbühne die Zeit an: „Heut haben Sie ein altes Weib aus mir gemacht“ - ergreifender Moment der „Marschallin“ mitten im Tohuwabohu.

Sie beherrscht alles - diese „Marschallin“ der Signe Heiberg: Über alle Intervall-Klippen der lyrisch-dramatischen Partie erhaben, adelt sie diese noch junge, aber resignierenden Frauenfigur zwischen erotischem Durst, Lebensklugheit und Melancholie, mit warmherzig schimmernder, erlesener Gesangskultur.

Ob im beseelten Zeit-Monolog oder im Terzett-Finale mit drei berückend verschmelzenden Stimmen: „Hab mir‘s gelobt, ihn lieb zu haben...“

Nämlich ihren aufbrausenden jungen Liebhaber, Graf Octavian Rofrano, der ihr entgleitet - in dem Augen-Blick, als er der jungen, süßen Sophie jene silberne Rose überreicht, mit der der „Ochs“ ihn als „Brautwerber“ entsendet.

Boshana Milkov verkörpert diesen „Rosenkavalier“ mit komödiantischem Elan, gestaltet die große Mezzo-Partie im enormen Stimmumfang mit kluger Stimm-Ökonomie über drei große Akte hin und entfaltet ihre satte Leuchtkraft vor allem in den Alt-Lagen.

Sophie als kesse Motte im Girlie-Look

Ein „Dreamteam“ ist sie mit Victoria Kunzes. Dieses „Sopherl“ ist kein scheues Reh: Kunzes silberglitzernder, mühelos alle stimmlichen Kaskaden auskostender Koloratursopran charakterisiert sie - erst im weißen Rosen-Kleid, später im heutigen Rapper-Girl-Outfit - als kesse Motte, die dem „Ochs“ mit fuchtelnden Fäusten Paroli bietet.

Großes Rosenkavalier-Finale auf der Bühne des Großen Hauses am Stadttheater Bremerhaven: Baron Ochs auf Lerchenau (als Gast Bassist Philipp Mayer, Mitte) sieht Gespenster - ein riesiges, wirbeliges Chaos, eingefädelt, um den dreisten Protz zu düpieren - mit dem ganzen Opernchor, Extrachor und Kinderchor, und fulminanten Orchester-Tutti.

© Sandelmann/Stadttheater

Großes Rosenkavalier-Finale auf der Bühne des Großen Hauses am Stadttheater Bremerhaven: Baron Ochs auf Lerchenau (als Gast Bassist Philipp Mayer, Mitte) sieht Gespenster - ein Chaos, eingefädelt, um den dreisten Protz zu düpieren - mit dem ganzen Opernchor, Extrachor und Kinderchor, und einem fulminanten Orchester-Tutti, das es auch mal richtig krachen lässt.

Das gesamte Ensemble, vom blendend einstudierten Opern-, Extra- und Kinderchor bis in jede filigran gezeichnete größere und kleinere Nebenrolle, mimt und singt lustvoll: Das Intriganten-Pärchen Annina (Eva Maria Summerer) und Valzacchi (Andrew Irwin); der Hof-Sänger - Belcanto-elegant als Kastraten-Karikatur Farinelli der Gast-Tenor Miloš Bulajic; Sophies altbackener Papa Faninal, mit Marcin Hutek stimmlich nobel präsent; die Soubretten-quirlige „Leitmetzerin“ Katharina Diegritz, und und und....

Und dann der „Geniestreich“ der Inszenierung: das „Cupiderl“. Als stummer, permanent präsenter, pummeliger Liebesgott zieht Schauspielerin Laura Gabrielli in resoluter Commedia dell’arte-Komik die Fäden des Verwirrspiels, stiehlt auch mal den Singenden die Show und lässt am Ende vom Schnürbodenhimmel schwebend zum „Plinggplinggplingg“ der Celesta silberne Rosenblätter regnen. Pure Poesie!

Was: Richard Strauss „Der Rosenkavalier“, Komödie für Musik in drei Akten.

Wo: Stadttheater Bremerhaven, Großes Haus.

Vorstellungen: 10., 16., 18. und 24. Mai, je 18 Uhr. Karten: 44,50 bis 18,50 Euro (kasse@stadttheaterbremerhaven.de oder: 0471/49001).

Besetzung u.a.: Marschallin: Signe Heiberg; Sophie: Victoria Kunze; Octavian: Boshana Milkov; Baron Ochs auf Lerchenau: Philipp Mayer; Faninal: Marcin Hutek; Cupiderl: Laura Gabrielli.

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Erstellt:
05.05.2024, 16:11 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 12sec

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