Schau in Bremen: Sibylle Springer erinnert an vergessene Künstlerinnen

Schau in Bremen: Sibylle Springer erinnert an vergessene Künstlerinnen

Sie schauen aus dunklen Leinwänden heraus: Zwei Gesichter, kaum zu erkennen: die malenden Schwestern Dietzsch. Sibylle Springer erinnert in der Bremer Kunsthalle an vergessene Künstlerinnen, aber so, dass sie deren Verschwinden immer mitdenkt.

Aus dem Schatten ans Licht geholt

Schau in der Bremer Kunsthalle: Sibylle Springer erinnert an vergessene Künstlerinnen

Hand aufs Herz: Wer kennt Arbeiten von Barbara Regina und Margarethe Barbara Dietzsch? Die Maler-Schwestern aus dem Spätbarock stammten aus einer Nürnberger Künstlerfamilie und setzten vor allem auf Blumen-Stillleben. Aber was für welche! In einer Vitrine staunen die Besucher über die fantastische Orangenblüte, den Goldlack und den Mohn. Kein Wunder, dass dieses Duo sich im 18. Jahrhundert nicht um Anerkennung sorgen musste. Nur leider überdauerte ihr Ruhm nicht die Zeitläufte.

Erste Einzelausstellung in der Kunsthalle Bremen

An diesem Punkt setzt Sibylle Springer an, die Zeitgenossin aus Bremen, die mit „Ferne Spiegel“ ihre erste Einzelausstellung in der Kunsthalle hat. Die 50-Jährige ist anders als die Dietzsch-Schwestern keine Unbekannte. Doch sie könnte, das hofft zumindest Kunsthallen-Direktor Christoph Grunenberg, „mit dieser Ausstellung noch bekannter werden“. Keine Frage. Und mit ihr die vergessenen Malerinnen. Viele wurden zwar seit den1970er Jahren von der feministischen Kunstgeschichte ans Licht geholt, aber noch längst nicht alle. Das lehrt uns diese interessante Schau, die große und kleine Formate sowie Textilarbeiten versammelt.

Eine Künstlerin steht vor einem großformatigen Gemälde. Sibylle Springer in ihrem Atelier. An der Wand hinten ist ihrer Interpretation eines Blumen-Stilllebens von Rachel Rysch zu sehen, rechts die Textilarbeit „Harlekinbär“, eigentlich ein kleiner Nachtfalter, der bei Springer riesengroß wird.

© Rahel Pasztor

Sibylle Springer in ihrem Atelier. An der Wand hinten ist ihrer Interpretation eines Blumen-Stilllebens von Rachel Rysch zu sehen, rechts die Textilarbeit „Harlekinbär“, eigentlich ein kleiner Nachtfalter, der bei Springer riesengroß wird.

Sibylle Springer scheut sich selbst nicht vor gewagten Interpretationen. Dass die Barock-Schwestern ziemlich oft stachelige Disteln ins Bild rückten, in deren stacheligen Blättern sich Insekten verfingen, deutet die Bremerin so: „Vielleicht wollten die Malerinnen so auf die gesellschaftliche Benachteiligung von Frauen anspielen.“

Dabei kommt Springers Kunst alles andere als plakativ daher, sondern eher hintergründig. So lässt sie die Gesichter der Blumen-Künstlerinnen bewusst im Ungefähren, denn von beiden gibt es keine Porträts, was, das muss an dieser Stelle noch einmal gesagt wäre, einem Künstler, der zu seiner Zeit so berühmt war wie die beiden, wohl nicht passiert wäre.

Barockmalerin trifft Renaissance-Künstlerin

Die beiden sind nicht die einzigen historischen Künstlerinnen, an die Sibylle Springer anknüpft. Ein Pullover, auf links gedreht, erinnert an die Renaissancemalerin Artemesia Genteleschi. Einen weiteren großen Auftritt bekommt die Niederländerin Rachel Ruysch, ebenfalls auf Blumen-Stillleben spezialisiert. Wieder setzt die Zeitgenossin nur indirekte Verweise auf die malende Kollegin im 18. Jahrhundert.

Ein Gemälde. Die Besucher können Madonna beim Altern zusehen. Denn Sibylle Springer hat die Leinwand so bearbeitet, dass sie immer fleckiger wird.

© Frank Scheffka

Die Besucher können Madonna beim Altern zusehen. Denn Sibylle Springer hat die Leinwand so bearbeitet, dass sie immer fleckiger wird.

Ein Nachtfalter, genauer gesagt: ein Harlekinbär, ist den Arbeiten von Ruysch entflogen und als Textilarbeit in der Kunsthalle gelandet. In Wirklichkeit fast winzig klebt er riesengroß an der Wand. Auch die Blüte der Lack-Zistrose, in der Natur eine acht Zentimeter kleine Blüte, übersetzt Springer ins Textil-Großformat, das den halben Boden einnimmt. Hauchzarte Gewebe treffen auf dicke Wollstränge. Denn die riesigen Blütenblätter und -stempel sind gehäkelt, gestrickt, genäht, geflochten und genäht - gut 20 Künstlerfreunde haben daran mitgearbeitet - Frauen wie Männer. „Die Arbeit daran hat wohl ein Jahr gedauert“, schätzt die Künstlerin.

Doch was ist das? Der Flügel des gepunkteten Nachtfalters ist beschädigt. Die weiße Blüte ist nicht so schön, wie es zunächst erscheint. Sie ist bereits am Verblühen, Schimmelflecken und pilzartige Strukturen deuten den Verfall an. Die Blumen-Bilder, die Springer nach Ruysch gemalt hat, sehen ebenfalls leicht ramponiert aus. „Ich habe die Leinwand aufgeribbelt. Und mit einem Messer die Fäden herauszuziehen, um zu zeigen, wie schnell Ruyschs Ruhm verblasst ist“, so die Künstlerin.

Die Leinwände altern und so auch die Motive

Nicht nur, was Springer malt, spielt eine Rolle, sondern auch wie sie es macht. Dabei ist es fast nebensächlich, dass sie für die Hintergründe die Farbe nicht mit dem Pinsel aufträgt, sondern auf die Leinwand kippt. Wichtiger ist, was sie mit den Leinwänden anstellt. Dabei ist die Verletzung des Gewebes nur eine Möglichkeit, eine andere: Weißgold oder Silber aufzutragen. Das Edelmetall verändert sich mit der Zeit, wird fleckig.

Ein Gemälde. Britney Spears gehört zu den Pop-Ikonen, den die Malerin eine Alterungskur verordnet hat.

© Frank Scheffka

Britney Spears gehört zu den Pop-Ikonen, den die Malerin eine Alterungskur verordnet hat.

So bekommt das perfekte Aussehen von Pop-Ikonen wie Madonna oder Britney Spears Kratzer. Manchmal sehen wir nur noch ihre Haare oder die Umrisse des Gesichts. Bei den Zeitgenossinnen geht es wie bei den historischen Vorgängerinnen um die Frage, wie sichtbar Frauen in der Gesellschaft sind. Und wie vergänglich Ruhm sein kann.

Im digitalen Raum

Heutzutage müssen sich Künstlerinnen, wenn sie wahrgenommen werden wollen, im digitalen Raum inszenieren. Darauf spielt die Arbeit „Feed“ an. Die 35 kleinformatigen Porträts zeigen, wie die Frauen sich selbst sehen. Denn der Ausgangspunkt sind Fotografien, die die Künstlerinnen bei Instagram gepostet haben. „Was passiert, wenn man ständig für die Kamera posiert?“, fragt sich Springer. Eines ist klar: Diese Selbstinszenierungen helfen dabei, sichtbar zu werden und zu bleiben. Da haben es die Zeitgenossinnen einfacher als ihre Vorgängerinnen. (axt)

Auf einen Blick

Was: Sibylle Springer „Ferne Spiegel“

Wo: Kunsthalle Bremen, Am Wall 207

Wann: Bis zum 11. Januar. Die Schau ist dienstags von 10 bis 21 Uhr zu sehen, mittwochs bis sonntags von 10 bis 17 Uhr.

Eintritt: 10 (ermäßigt 5) Euro. Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren haben freien Eintritt

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Erstellt:
04.09.2025, 11:52 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 24sec

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