Deutsche Promis manchmal grummelig
Er plaudert mit Hollywood-Stars, führt durch TV-Shows von Joko und Klaas und interviewte Boris Becker nach dessen Haftentlassung: Steven Gätjen ist ein gefragter Moderator im deutschen Fernsehen – jetzt wird er an der Seite von Bettina Tietjen neuer Gastgeber in der traditionsreichen „NDR Talk Show“. Bei seiner Premiere am 31. Januar (22 Uhr, NDR) werden unter anderem Désirée Nosbusch und Jürgen von der Lippe als Gäste erwartet.
Herr Gätjen, Glückwunsch zu Ihrem neuem Job als Gastgeber in der „NDR Talk Show“ an der Seite von Bettina Tietjen. Was reizt Sie an dieser Aufgabe?
Das Fernsehen hat sich über die Jahre hinweg sehr verändert, es bleibt in vielen Sendungen nicht mehr die Zeit und Gelassenheit, intensiv mit den Gästen zu sprechen. Die „NDR Talk Show“ ist da anders. Bettina und ich wollen eine Wohnzimmeratmosphäre kreieren, die den Menschen die Möglichkeit gibt, sich zu öffnen, auch mal eine privatere Seite zu zeigen oder bei kontroversen Themen mehr in die Tiefe zu gehen. Ich freue mich extrem darauf.
Sie haben schon viele nationale und internationale Stars kennengelernt, Tom Cruise hat Ihnen sogar eine kleine Rolle in einem „Mission Impossible“-Film verschafft. Sind Sie vor Gesprächen mit Prominenten noch nervös?
Nervös würde ich vielleicht nicht sagen, eher freudig aufgeregt. Aber ich mag das sehr. Aufregung bedeutet ja auch, dass man wachsam ist, dass man seinem Gegenüber gut zuhört. Es war ja schon immer mein Credo, auch wenn ich zum Beispiel vom Roten Teppich bei der Oscar-Verleihung berichte, dass ich die Filme kenne, um die es geht, dass ich das Buch oder das neue Album kenne, um das es geht. Aber egal, wie gut ich vorbereitet bin: Ich weiß letztlich nie, wie das Gespräch verläuft. Vielleicht läuft es nicht so, wie ich es mir gewünscht habe, vielleicht bin ich mir nicht grün mit der betreffenden Person, oder vielleicht entsteht dabei eine große neue Freundschaft.
Sind denn tatsächlich schon Freundschaften aus beruflichen Begegnungen entstanden?
Ich habe das große Glück, dass ich viele alte Freunde habe, einige kenne ich noch aus dem Kindergarten. Aber ich bin total offen, ich mag Menschen und lerne gerne neue Leute kennen. Meine TV-Kollegen Joko und Klaas sind mir total ans Herz gewachsen, ich weiß, dass die immer für mich da sind und ich bin immer für sie da, das würde ich schon als Freundschaft bezeichnen.

© Charisius
Steven Gätjen hat seine Medienkarriere mit einem Radiovolontariat gestartet. Später arbeitete er unter anderem für MTV.
Gibt es Stars, mit denen Sie sich nicht grün waren?
Ich habe mal ein Interview mit Pierce Brosnan geführt, das war ein Desaster. Vielleicht hatte ich auch die falsche Frage gestellt und er war selber nicht gut drauf, das kommt ja mal vor. Wir haben uns Jahre später noch mal getroffen, und das war eines der tollsten Gespräche meines Berufslebens. Ich bin außerdem ein bekennender 80er-Jahre-Rockfan, und eine meiner Lieblingsbands ist Bon Jovi. Die habe ich mal in Hamburg zu einem Interview bei der Echo-Verleihung getroffen, und es war unfassbar schlimm. Die waren so arrogant, dass ich am liebsten alle meine Platten von ihnen weggeworfen hätte.
Wobei man ja in der Regel sagt, dass gerade amerikanische Stars im Umgang lockerer sind als viele Promis aus Deutschland. Ist das auch Ihre Erfahrung?
Generell habe ich schon das Gefühl, dass deutsche Promis eher mal ein bisschen grummeliger sind, weil sie es als eine Schattenseite ihres Berufs ansehen, wenn sie Interviews geben oder Pressetermine absolvieren müssen. Da wünsche ich mir manchmal mehr Leichtigkeit und weniger Verkrampftheit. Allerdings muss ich auch sagen, dass aus den USA gerade eine Welle der Zensur herüberschwappt: Fragen muss man vorher einschicken, die werden vom Management abgenommen, und davon darf man dann im Gespräch nicht abweichen, weil alle Angst davor haben, dass in Zeiten der sozialen Medien Dinge, die man gesagt hat, aus dem Kontext herausgerissen und missverstanden werden.
Ihr erstes Promi-Interview haben Sie als 14-Jähriger geführt, damals durften Sie als Praktikant für die Zeitschrift „Tempo“ mit Herbert Grönemeyer reden. Können Sie sich noch daran erinnern?
Sehr gut sogar. Mein damaliger Chef hat mich gefragt, ob ich Bock hätte, ein Interview zu führen, und meinte dann: Ruf mal den Herbert Grönemeyer an. Da ging mir natürlich die Düse. Ich habe dann am Telefon mit Herbert Grönemeyer geplaudert, und am Ende meinte er: „Hey, wie alt bist du eigentlich?“ Als ich sagte „14“, ist ihm, glaube ich, das Herz in die Hose gerutscht. Ich hatte das Vergnügen, ihn danach noch ein paar Mal zu treffen. Herbert Grönemeyer ist ein großartiger Mensch, der einen nicht beurteilt, dem ist es wichtig, dass man ein gutes Gespräch hat.
Ihre Mutter war Journalistin, hat Sie Ihnen Lust auf eine Karriere in den Medien gemacht?
Meine Mutter war eine leidenschaftliche Journalistin und hat übrigens schon früh für die Rechte der Frauen im Journalismus gekämpft. Vielleicht hat ihre Begeisterung dafür, Fragen zu stellen und Gespräche zu führen, ja abgefärbt auf mich. Das wirklich Fantastische an meinen Eltern ist aber, dass sie nie gesagt haben: Mach dies oder mach jenes, oder: Das kannst du nicht – selbst als ich trotz schlechter schulischer Leistungen vorübergehend den Plan hatte, Medizin zu studieren. Auch als ich mich dann entschieden habe, nach London zu ziehen und zu MTV zu gehen, waren sie an meiner Seite.
Haben Sie eigentlich ein Talk-Vorbild?
Ich habe Alfred Biolek bewundert, für sein immer charmantes Nachfassen. Und ich habe Joachim Fuchsberger geliebt, den ich einmal zufällig getroffen habe, als er mit seiner Frau essen war. Da bin ich an seinen Tisch gegangen und habe gesagt, dass ich ein Riesenfan bin. Das ist schon lange her und er hatte natürlich keine Ahnung, was ich mache, aber ich durfte mich dann zu ihnen setzen und er hat mich ausgefragt. Auch heute haben wir in Deutschland viele tolle Talkshow-Gastgeber, und ich hoffe, dass ich von Bettina Tietjen viel lernen kann.
War das Interview mit Boris Becker, den Sie nach seiner Entlassung aus der Gefängnishaft in England befragen durften, der größte Coup Ihres Berufslebens?
Es war für mich ein Ritterschlag, dass ich das machen durfte. Ich bin als junger Mensch mit den Erfolgen von Boris Becker groß geworden und er hat mich dazu animiert, selber den Tennisschläger zu schwingen. Ihn zu treffen, erst im Gefängnis in England und danach das intensive Fernseh-Gespräch mit ihm zu führen, das war schon Wahnsinn. Das haben ja auch alle mit Argusaugen beobachtet, und es war eine Gratwanderung, ihm menschlich möglichst nahezukommen und dabei die nötige journalistische Distanz zu wahren.
Haben Sie noch Kontakt?
Nein, ich habe keinen Kontakt zu Boris Becker. Ich habe ihn nur zufällig mal in einem Münchner Hotel getroffen und wir haben zusammen gefrühstückt. Er hat ja extremes Charisma, ist eine sehr einnehmende Person. Deshalb ist er so ein Star geworden. Ich wünsche ihm, dass er glücklich wird und selbstreflektierend auf seine Vergangenheit zurückblickt.
Würden Sie ihn gerne in die „NDR Talk Show“ einladen?
Gätjen: Das wäre auf jeden Fall interessant. Aber es muss ja nicht immer nur eine berühmte Persönlichkeit sein in der NDR Talkshow – von Boris Becker bis zur Landwirtin, die um ihren Bauernhof kämpft, kann vieles spannend sein. Ich würde mich auch freuen, wenn Joko, Klaas oder Stefan Raab vorbeischauen. Ich habe viele Leute auf meiner Liste stehen. Ich hoffe, dass ich die Sendung lange genug präsentieren darf, um zumindest die Hälfte davon abzuarbeiten. (yvo)
Zur Person
Steven Gätjen kam 1972 als Sohn eines Arztes und einer Journalistin in Phoenix in den USA zur Welt, wo sein deutscher Vater arbeitete. Als er drei Jahre alt war, zog die Familie nach Deutschland, in Hamburg absolvierte Steven Gätjen nach dem Abitur ein Radiovolontariat. In den 90ern war er Moderator bei MTV, später studierte er in Los Angeles und San Francisco. Ab 1999 präsentierte Gätjen wechselnde Fernsehformate.