
Dieser rote Mantel ist ein Fund aus einem Hamburger Secondhand-Laden. Anastasia war auf den ersten Blick total geflaht
Foto: privat
Nicht einfach Klamotten: Es sind Unikate
Secondhand-Kleidung – der Begriff dürfte die unterschiedlichsten Emotionen auslösen. Eine, die es wissen muss, ist Anastasia Kolar. Die Studentin hat ein Faible für getragene Kleidung. Aus den unterschiedlichsten Gründen.
Alles, nur nicht Mainstream. Wer Deine Fotos anschaut, merkt schnell, dass Deine Outfits garantiert nicht gestern in der Fast-Fashion-Kette um die Ecke gekauft wurden. Du greifst vielmehr begeistert zur Secondhand-Klamotte. Welche Gefühle, Eindrücke, Sinnens-Wahrnehmungen verbindest Du damit?
Anastasia: Eine ganze Menge. Zunächst einmal Einzigartigkeit: Die meisten meiner Lieblingsklamotten kommen tatsächlich aus Secondhand-Shops. Meine Lieblingsjacke, eine zerfetzte, rosa Jeansjacke, habe ich mir vor fünf Jahren auf einer Dresdner Secondhand-Shopping Tour geholt. Mein Lieblingsmantel, ein grauer, rosa karierter, langer und dünner Mantel, ist aus dem „Frauenpower“-Laden in Bremerhaven. Die meisten Klamotten sind, im Gegensatz zu Massenproduktion und schnelllebigen Modetrends, einzigartige Stücke, die meinen Stil unterstreichen. Die meisten Secondhand-Shops verkaufen nicht einfach Klamotten, sondern Unikate.
Weißes Kleid vom Secondhand-Markt in Dar es Salaam
Diese Unikate sind ja „keine unbeschriebenen Blätter“. Hat deren „Geschichte“ eine Bedeutung für Dich?
Anastasia: Sobald die Kleidung von Freunden oder Bekannten kommt, wird mir immer eine Geschichte zu dem Kleidungsstück erzählt. Beispielsweise habe ich während meinem Auslandssemester in Tansania bei einer Familie in Dar es Salaam übernachtet. Die Frau meinte dann zu mir „Hey ich habe noch ein Kleid in meinem Schrank, das zieh‘ ich nicht an. Würdest du es gern anprobieren?“. Sie holte es, und dann habe ich ein unglaublich schönes, mit weißer Spitze ummanteltes Kleid angezogen. Es hat wie angegossen gepasst und sah aus, als sei es für eine Hochzeit geeignet. Sie erzählte mir, dass sie es vom Secondhand-Markt in Dar es Salaam von einer alten Frau gekauft hatte, die gerade Geld sammelte, um ihre Kinder auf die Universität zu schicken. Solche Momente finde ich unglaublich schön, weil ich dann mit den Kleidungsstücken viel mehr verbinde.
Was bewirken die Gerüche, die den Kleidungsstücken anhaften?
Anastasia: Klamotten kommen häufig mit einem eigenen Geruch vom Vorbesitzer. Mich selbst stört dieser Geruch meistens gar nicht und bisher hatte ich nur einmal die Situation, in der mir der Geruch an einem Hoodie nicht gefiel und nach mehrmaligem Waschen weiterhin blieb. Sowas kann passieren, sehe ich allerdings nicht als Schwierigkeit, weil ich solche Klamotten an Freunde oder Secondhand Läden übergeben kann, damit sie ein anderes Zuhause finden.
Roter Mantel, der wie Schmetterlingsflügel aufgeht
Hast Du auch Deine eigenen Geschichten mit den Unikaten, die dir begegneten?
Anastasia: Oft sind es gerade die unerwarteten Entdeckungen, die den größten Reiz bei Secondhand-Klamotten für mich ausmachen. Neulich war ich mit meiner Schwester in Hamburg. Wir machten uns auf die Suche nach Secondhand-Läden. Einer sah von innen aus wie ein Londoner Herrenhaus. Wir fühlten uns wie in einem Film. Wir gingen die Wendeltreppe nach unten, zu den Frauenklamotten und das Erste, was mir ins Auge stach, war ein roter, langer Mantel, der an einer Säule hing. Ich war geflasht. Besonders, als ich ihn anzog und bemerkte, dass der Mantel wie Schmetterlingsflügel aufging, wenn man die Arme hob. Secondhand-Shops sind so vielfältig und unterschiedlich wie ihre Besitzer und genauso wie die vielen unvorhersehbaren Momente, die ich bisher in diesen Läden erleben durfte, und die so zu meiner eigenen Geschichte mit den Fundstücken werden.
Spielen auch Nachhaltigkeits-Aspekte bei Deiner Entscheidung für Secondhand-Kleidung eine Rolle?
Anastasia: Ich mache mir viele Gedanken darüber, dass jedes Kleidungsstück produziert werden muss. Wenn ich nun Secondhand-Kleidung kaufe, kann ein produziertes Kleidungsstück nicht nur einen, sondern zwei oder sogar mehr Menschen kleiden. Durch den Weiterverkauf werden natürliche Ressourcen geschont, statt ein ähnliches Kleidungsstück mit neuen Ressourcen zu produzieren und das alte wegzuwerfen.
Secondhand-Shopping macht mich auf mein Konsumverhalten aufmerksam
Ist die Liebe zu Secondhand auch ein Statement zum Thema Konsum?
Anastasia: Ein Nebenaspekt von Secondhand-Shopping ist, dass es mich immer wieder aufmerksam macht auf mein Konsumverhalten. Durch die Auseinandersetzung mit Secondhand mache ich mir selbst mehr Gedanken darüber, wie viele Klamotten ich besitze, ob ich überhaupt diese neue Jeans brauche und lässt mich kritischer nachdenken, bevor ich etwas kaufe. Dieses Verhalten spiegelt sich dann nicht nur beim Klamottenkauf, sondern auch bei der Anschaffung neuer Technik und im alltäglichen Supermarkt-Einkauf wider.
Wenn wir jetzt Deinen Kleiderschrank öffneten, wieviel Prozent der Schätze, die sich dort befinden, sind secondhand?
Anastasia: Bis zu zwanzig Prozent kommen direkt aus Secondhand-Läden, ungefähr 25 Prozent durch Klamotten, die ich von Freunden und Bekannten erhalten habe. Etwa drei Prozent sind dann Stücke, die ich durch Auflösungen von Fundkisten, „Zu verschenken“-Boxen vor Haustüren oder sogar aus dem Müll habe.
Bestimmte Epochen spielen keine große Rolle
Wann hast Du Dein Faible für gebrauchte Kleidung entdeckt?
Anastasia: Bei den Kleidertausch-Abenden mit meiner Schwester. Irgendwann wurde das zu einem Ritual, zu dem wir Freundinnen eingeladen haben. Bewusst aufgefallen ist es mir, als mich in der siebten Klasse eine Mitschülerin fragte, ob ich mit ihr shoppen gehen wollte. Ich schlug ihr vor, gemeinsam Secondhand-Shoppen zu gehen.
Spielen bestimmte Mode-Epochen, beispielsweise die 50er- oder 70er-Jahre bei Deiner Suche eine besondere Rolle?
Anastasia: Bei mir spielen Epochen weniger eine Rolle. Mir ist wichtiger, dass meine Klamotten zu mir passen und ich etwas Einzigartiges an ihnen spüren kann. Dabei kann das Gefühl sehr unterschiedlich sein. Ich habe beispielsweise ein einfaches Print-Shirt, in dem ich mich super entspannt fühle, und das macht es dann besonders für mich. Wenn Klamotten einer bestimmten Epoche ähneln, ist mir wichtig, dass ich sie mit moderneren Klamotten kombinieren kann.
Wo suchst Du konkret nach gebrauchter Kleidung? Eher offline in lokalen Secondhand-Läden oder Online in speziellen Börsen
Anastasia: Meistens offline, ich spüre gern den Stoff und will die Umgebung des Ladens richtig aufnehmen. Dabei nutze ich Möglichkeiten in anderen Städten gern, um nach neuen Fundstücken und zu mir passenden Läden zu suchen. In Bremerhaven schaue ich gern in den Läden „Frauenpower“, „Das Sparschwein“ und „ZeitRaum Clothing“ vorbei. In Dresden, meiner Heimatstadt, sind es „B&B Secondhand“, „Chicsaal“ und Ketten wie „Humana“ oder „ReSales“. Online suche ich eigentlich nur, wenn ich etwas Spezielles suche, wie einen lila Blazer oder Merch von Bands.