AWI-Direktorin Antje Boetius bei der Kiellegung des Forschungskutters "Uthörn".

© Esther Horvath

Professor Antje Boetius während der Kiellegung der „Uthörn“: Das Forschungsschiff ist inzwischen fertig. Auf eine neue „Polarstern“ warten sie und ihre Mitarbeiter noch.

Die AWI-Chefin und ihr wichtiger Kampf um die neue „Polarstern“

Die Meeresforscherin Antje Boetius steht fünf weitere Jahre an der Spitze des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven. Selbstverständlich war das nicht.

Professor Antje Boetius wird auch die nächsten fünf Jahre Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts (AWI) in Bremerhaven sein. Ohne einen Ersatz für den Forschungseisbrecher „Polarstern“ hätte sie sich das allerdings nicht vorstellen können.

Unsere Reporterin Ursel Kikker hat sich mit Antje Boetius zum Interview getroffen. Dabei ging es aber nicht nur um die neue „Polarstern“.

Basteln Sie an einer neuen Karriere im Fernsehen? Wir haben Sie gerade als Moderatorin in einer Terra-X-Sendung im ZDF gesehen.

Ich bin mal zur Terra-X-Wissensshow eingeladen worden, in der spielerisch über lauter Geheimnisse der Erde aufgeklärt wird. Ich hatte damals einen Mini-Auftritt. Daraufhin wurde ich gefragt, ob ich Lust hätte, mich an einer Moderation zu probieren. Und natürlich bin ich immer neugierig, ich habe dann ja gesagt.

Sie sind an der Verfilmung von Frank Schätzings Bestseller „Der Schwarm“ beteiligt. Wie kommen Sie dazu?

Vor zwei Jahren habe ich einen Anruf gekriegt, ob ich bei dieser Verfilmung fachlich beraten könnte. Für die neue Serie, die Anfang 2023 herauskommen soll, ging es darum, die Meereswissenschaft neu zu zeigen, wie sie heute ist, divers, kämpferisch und mit vielen Heldinnen und Helden. Es war interessant, Feedback zum Drehbuch zu geben. Ich durfte sogar zusammen mit Frank Schätzing zwei Tage mit an den Drehort in dem riesigen Unterwasser-Studio in Brüssel.

Ist die Geschichte - der Thriller erschien 2004 - noch aktuell?

Leider ist die Natur ja selbst oft krasser als jeder Hollywoodfilm. Orcas haben wirklich Segelyachten angegriffen, das Marmarameer hat sich in eine gigantische Schleimbrühe verwandelt, Massen an Krebsen sind in den vergangenen Jahren bei Hitzewellen und wegen Sauerstoffmangel im Wasser an Land gelaufen. Einzelne Geschichten sind also in echt passiert, die im Film Fiktion sind. Sie haben eine Ursache: unseren falschen Umgang mit der Natur, von daher ist der Film sehr aktuell.

Ihr eigentlicher Job ist natürlich, Direktorin des AWI zu sein. Sie haben sich entschieden, es weitere fünf Jahre zu führen. An welchem Punkt im Ringen um die neue „Polarstern“ haben Sie Ihre berufliche Zukunft mit in die Waagschale geworfen?

Ich glaube, niemand kann sich die Polarforschung ohne ein solches Schiff vorstellen. Aber letztes Jahr, mit der neuen Regierung und all den Krisen, die sich übereinander stapeln, wurde doch plötzlich die Frage gestellt: Muss Deutschland, das gar keine polaren Küsten hat, ein so großes und teures Schiff bauen? Es war wichtig zu diskutieren: unsere gemeinsame Zukunft liegt im Wissen und Wissen-Generieren - besonders was den Ozean und die Polarregionen angeht. Und Deutschland wird hier seinen Beitrag leisten. Ich habe auch ehrlich gesagt, ich könnte niemals Direktorin von einem AWI ohne Eisbrecher sein. Insgesamt gab es dann über ein halbes Jahr viele politische Verhandlungen, bis ins Bundeskanzleramt. Auch Nicht-Regierungsorganisationen haben sich zu Wort gemeldet und gefragt: Wie sollen die Überwachungsaufgaben zum Zustand der Arktis und Antarktis klappen ohne eine „Polarstern“? Wir spielen eine internationale Rolle in den Polarregionen. Und irgendwann fiel dann die Entscheidung für die Finanzierung.

Mehr als ein Job: Polarforschung für die Zukunft.

Das AWI hat die Neu-Ausschreibung übernommen. Wird der Auftrag noch zum Ende des Jahres vergeben?

Das geht nicht so schnell. Das ist so ein großer Auftrag für die europäischen Werften: ein eisbrechendes Forschungsschiff für die Zukunft, das es so nicht gibt und noch nie gegeben hat. Das zu planen, ist ein langer Prozess. Ich hoffe, dass es starkes Interesse gibt.

Kommt der Nachfolgebau noch rechtzeitig, bevor die jetzige „Polarstern“ nicht mehr fahren darf?

Der Zeitplan ist sehr ambitioniert. Die „Polarstern“ hat aber gerade Klasse bis 2027 bekommen. Es könnte alles noch genau hinkommen.

Gab es noch etwas, an was Sie an Ihre weitere Amtsführung verknüpft haben?

Natürlich die Wertschätzung. Ich bin 2017 ja direkt als Forscherin in diese Aufgabe der Leitung reingegangen. Ich hatte vorher noch kein Institut gemanagt, das war dann schon ein ganz schöner Sprung ins kalte Wasser. Doch nach fünf Jahren ist ganz eindeutig die Wertschätzung für unsere Arbeit gestiegen, und auf der kann ich gut weiter segeln. Für mich war aber auch wichtig, dass ich weiter recht frei in der Ausgestaltung dieses Amtes bin. In den vergangenen fünf Jahren habe ich gemerkt, wie sehr die Vielfalt der wissenschaftlichen Aufgaben gewachsen ist. Bereit zu sein, mit der Gesellschaft direkt neue Erkenntnisse zu teilen und in den Dialog zu bringen, ist mir wichtig. Ich möchte gerne unabhängig für diese Erkenntnisse einstehen und auch Dinge ausprobieren, die vielleicht nicht jeder Wissenschaftsmanager gerne macht: Wissenschaft ins Theater bringen, ins Fernsehen oder in einen Club. Denn wie kommen wir mit unserem Wissen schneller an die Menschen? Nicht nur, indem wir Daten vorlegen, sondern indem wir sie auch einordnen helfen und einfach auch die Leute mitreißen mit dem, was es alles zu wissen gibt.

Antje Boetius - eine Karriere in Bildern

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Antje Boetius hat das Direktorium des Alfred-Wegener-Instituts von Prof. Karin Lochte (Amtszeit: November 2007 bis Oktober 2017, links) übernommen. Foto: Kerstin Rolfes
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Im Sommer 2019 begleitete Antje Boetius (Mitte) Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und dessen Frau Elke Büdenbender nach Island. Foto: dpa
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Königlicher Besuch aus den Niederlanden: Willem-Alexander und Máxima in Bremerhaven. Und Antje Boetius begleitet den Besuch im Alfred-Wegener-Institut. Foto: Arnd Hartmann
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Die große MOSAiC-Expedition 2019/2020 mit dem deutschen Forschungsschiff "Polarstern" fiel in ihre Amtsperiode. Foto: dpa/Alfred-Wegener-Institut
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Riesen-Expedition gerettet: Antje Boetius winkt im Mai 2020 dem deutschen Forschungsschiff "Maria S. Merian" nach. An Bord sind Wissenschaftler, die das Personal des Eisbrechers "Polarstern" ablösen sollen. Wegen der Corona-Pandemie mussten für die MOSAiC-Expedition ungewöhnliche Schritte gegangen werden. Boetius hat sie mit ermöglicht und verantwortet. Foto: dpa
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Erklärt auch gerne Kindern die Polarforschung: Antje Boetius hier im Tigerenten-Club im Fernsehen.
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Frauenbilder: Mit einem Spielzeughersteller wurde für seine Barbie-Kollektion eine weibliche Polarforscherin entwickelt. Foto: Lothar Scheschonka
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Eine Sensation am Meeresgrund: Die brütenden Eisfische in einer riesigen Brutkolonie im antarktischen Weddellmeer, die bei einer "Polarstern"-Expedition entdeckt wurden. Foto: AWI
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Jede Menge Baustellen: Das AWI-Technikum an der Klußmannstraße in Bremerhaven, hier eine Aufnahme von 2021, steht vor der Vollendung. Es dient unter anderem der Expeditionsvorbereitung. Mit Oldenburg ist sogar ein neuer Standort hinzugekommen. Dort wird das Helmholtz-Instituts für Funktionelle Marine Biodiversität gebaut. Foto: AWI/Esther Horvath Foto: Esther Horvath

Was sind die Schwerpunkte für die nächsten fünf Jahre?

Natürlich werden wir weiterhin unsere exzellente Grundlagenforschung verfolgen. Aber auf den Polarsystemen herrscht ein großer Druck, auch auf den Küsten durch den schnellen Wandel. Zukünftig wird es in der internationalen Wissenschaft noch stärker um missionsartige Forschung gehen: Wissen erzeugen, dass direkt in die Handlungsoptionen einfliesst. Da spielt die Arktis eine große Rolle für die Nordhalbkugel, an den Küsten geht es jetzt schon mit extremen Änderungen zur Sache. Dann wollen wir definitiv in den nächsten Jahren noch mehr zur Antarktis machen. In der Antarktis entscheidet sich für Jahrtausende die Zukunft der Menschheit, wenn dort die Eisschilde immer schneller schrumpfen und damit der Meerespiegel steigt. Die internationale Forschung will der Antarktis ein Jahr schenken, in dem synchron rund um diesen Kontinent eine Bestandsaufnahme zu ihrer Rolle im Erdsystem gemacht wird. Für mich ist es also auch ein Ziel in den kommenden fünf Jahren, dafür ein Konzept zu entwickeln, gemeinsam mit allen Ländern, die Polarinfrastrukturen haben.

Das AWI hat sich enorm entwickelt. Was hat Bremerhaven zu erwarten?

Bei allen Standorten ist in den vergangenen fünf Jahren ordentlich was los gewesen. Und wir haben noch viel zu tun: Auch hier in Bremerhaven und auch bei uns am AWI geht es um Transformation für Nachhaltigkeit, mehr Klimaschutz im Bauen, Weiterentwicklung von Wohnen und Arbeiten. Hier in Bremerhaven ist gerade das neue Arbeitskonzept rund um das „Rasmus-Willumsen-Haus“, das Technikum, zu nennen. Dafür haben wir 2008 die ersten Konzepte überlegt, und nun ist es da und wird mit Leben gefüllt. Das ist so ein fantastisches, innovatives Gebäude für Erfinder und Techniker rund um maritime Technologien. Ich kann es gar nicht abwarten, dass die Leute einziehen. Wir werden das Technikum auch als Schaufenster für Entwicklungen benutzen. Es ist ja zu einer Seite einsehbar. Es wird auch Führungen geben. Wie sich rundherum dort der AWI Campus an der Klußmannstrasse entwickelt, ist einfach toll. Er soll einmal Anschluss finden an die umfassenden Planungen für das Werft-Quartier.

Warum waren Sie im Sommer auf Grönland?

Grönland ist für uns schon länger eine ganz wichtige Forschungsregion in der Nordhemisphäre. Es ist die größte Insel der Erde, die mit altem Eis bedeckt ist. Dort findet derzeit auf dem Eisschild eine internationale Eiskern-Bohrung statt, die ich besucht habe. Aus Eiskernen können wir Klimageschichte lesen. Das Projekt ergänzt sozusagen die andere große Bohrkampagne, an der wir uns gerade in der Antarktis beteiligen.

Sie mussten wie alle anderen im Zelt schlafen bei minus zehn Grad?

Ja, die gesamte Infrastruktur bei der Bohrkampagne ist auf dem Eis aufgebaut. Ich hatte zuerst ein bisschen Sorge gehabt. Ich zelte sehr gerne, aber bei minus 10 Grad? Aber es war dann gar nicht so schwierig. Wir haben einfach supergute Polarschlafsäcke.

Der Forschungseisbrecher "Polarstern" bei der MOSAiC-Expedition.

© Martin Schiller

Das deutsche Forschungsschiff „Polarstern“ hat an einer Eisscholle festgemacht, damit die Wissenschaftler auf dem Eis Untersuchungen durchführen können. Das Foto entstand 2012 bei einer Arktis-Expedition, bei der Antje Boetius Fahrtleiterin war. Nach gut zehn Jahren soll es eine Neuauflage geben.

Sie wollen 2023 aber auch selbst auf Expedition gehen...

Ich bin ja Tiefseeforscherin und ich habe in den letzten fünf Jahren zwar hier und da mal einen Tauchgang machen können, aber das waren oft kurze Projekte. Ich muss nun auch mal wieder ein bisschen Wind um die Nase bekommen. In 2012 hatte ich eine internationale Expedition zum Nordpol geleitet. Durch Zufall war es ein Jahr mit Meereisminimum. Jetzt, nach zehn Jahren, wollen wir wieder hinschauen. Welche Konsequenzen hat der dauerhafte Rückgang des Meereises eigentlich für das Leben im Meer, in der Tiefsee oder direkt unter dem Eis? Wie geht es der Region rund um den Nordpol?

Antje Boetius (Jahrgang 1967) ist eine deutsche Meeresbiologin, Mikrobiologin und Professorin der Universität Bremen. Seit November 2017 leitet sie das Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Sie ist eine renommierte Tiefseeforscherin. Antje Boetius ist mit vielen großen Wissenschaftspreisen ausgezeichnet worden und ist Trägerin des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland. Die Bremerin legt großen Wert auf Wissenschaftskommunikation und wurde schon mit dem Communicator-Preis ausgezeichnet.

Antje Boetius im Interview mit Ursel Kikker

© Arnd Hartmann

War zu Gast bei der NORDSEE-ZEITUNG: Antje Boetius (rechts) im Gespräch mit NZ-Reporterin Ursel Kikker. Foto: Hartmann

Prof. Antje Boetius, Direktorin des AWI

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Erstellt:
02.11.2022, 19:07 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 25sec

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