Imame sprechen Machtwort
Die Polizei hat in dieser Woche in Stade groß aufgefahren, um mit Präsenz die aufgewühlte Lage und auch die besorgte Bevölkerung zu beruhigen sowie weitere Straftaten zu verhindern. Auf offener Straße und am helllichten Tage war einem 35-Jährigen aus Stade mit einem Messer in den Kopf gestochen worden. Die Verletzungen waren tödlich.
Zuvor war es, wie berichtet, zu einer Auseinandersetzung in der Hökerstraße und einem wohl provozierten Unfall gekommen. Dass die Lage nicht weiter eskalierte, liegt nicht nur an der Staatsmacht, sondern wohl auch am Machtwort zweier Imame aus Essen. Sie gelten als religiös-politische Oberhäupter einer islamischen Gemeinschaft.
Imame kamen noch am selben Abend nach Essen
Ein junger Familienvater wurde aus dem Leben gerissen, da bestand „natürlich die Befürchtung, dass die Emotionen hochkochen“, erklärt Allaá El Sayed, Vorstand und Sprecher der Salâhud-Dîn Moschee, eines großen islamischen Zentrums in Essen, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, mit der das Stader Tageblatt bei der Recherche zur brutalen Tat zusammenarbeitet. Die Imame seien noch am selben Abend nach Stade gefahren, um zumindest auf der Seite des Opfers zu deeskalieren. „Sie genießen nicht nur als Imame großen Respekt. Sie sind auch die Onkel des Opfers. Das verleiht ihren Worten natürlich besonderes Gewicht.“
In Stade entstand bei einer Versammlung ein Video, das als „Stellungnahme der Familie El-Zein“ zu verstehen sei. Alleine auf der Internetplattform TikTok sahen Nutzer das Video bereits mehr als 100.000-mal an. Der Imam Shaykh Muhammad Munir El-Zein spricht auf Arabisch und berichtet, dass die Familien sich verständigt hätten, die Lage nicht weiter zu eskalieren und Ruhe zu bewahren. Beide Seiten seien schockiert über die Tat.
Der Imam betonte in dem Video, dass Deutschland ein Rechtsstaat sei, ein Land mit Demokratie und Gesetzen. Man wolle die Sache der Polizei und den Gerichten überlassen. Seine Familie habe in ihrer Heimat nichts außer Krieg gehabt. Deutschland habe sie aufgenommen und sei eine zweite Heimat geworden. Seine Familie müsse für dieses Land gute Leute sein, so der Imam.
Moschee-Vorstand sieht keine Paralleljustiz
Die Ansprache zeigte anscheinend Wirkung, weitere Vorfälle in Stade oder anderswo blieben bislang aus. Was der Imam gemacht habe, sei keine Paralleljustiz, betont Moschee-Vorstand Allaá El Sayed. „Er sagt ja explizit, dass ein deutsches Gericht das Urteil sprechen muss. Er ist in dem Sinne auch kein Friedensrichter, auch wenn er in dem Moment Frieden stiftet. Was wäre die Alternative? Eine Blutfehde?“
Familienangehörige brachten den Leichnam nach Essen, am Mittwoch fand in der Salâhud-Dîn Moschee das Totengebet für den Stader statt. Tausende Besucher trauerten um das Opfer. Am Freitag soll er auf einem Friedhof in der libanesischen Hauptstadt Beirut beigesetzt werden.
Moschee-Vorstand: Opfer hatte nichts mit Clan-Kriminalität zu tun
„Die Tat ist ebenso sinnlos wie schrecklich, das bricht einem das Herz“, sagt Moschee-Vorstand Allaá El Sayed. Er empfinde es allerdings als diskriminierend, dieses Verbrechen nun „vorschnell dem Bereich der Clan-Kriminalität“ zuzuordnen. „Der Begriff an sich ist schon diskriminierend.“ Bei der Auseinandersetzung waren Mitglieder zweier Großfamilien beteiligt – und dazu gehörten viele Menschen, so der Libanese. „In jeder Familie gibt es auch mal ein schwarzes Schaf, aber eine ganze Familie deswegen als kriminell darzustellen, ist nicht fair“, sagt Allaá El Sayed, „zumal der Verstorbene nichts mit Clan-Kriminalität zu tun hatte.“
Ob das Opfer etwas mit Clan-Kriminalität zu tun hat, dazu gab die Polizei am Donnerstag auf Nachfrage keinen Kommentar ab. Der Besuch der Imame sei bekannt, so Polizeisprecher Rainer Bohmbach. Die weiteren Ermittlungen zur Tat dauern an, die Fahndung nach dem Täter läuft.
In die Chronologie der Ereignisse scheint sich ein bislang unerwähnter Vorfall einzureihen, wie aus Videoaufnahmen und Social-Media-Posts hervorgeht. Nach dem Angriff auf das Sport- und Shisha-Geschäft am Freitagnachmittag in der Hökerstraße, soll es zu einem Zwischenfall an einem Haus der Angreifer gekommen sein. Auf einem 16-sekündigen Video ist zu sehen, wie ein Mann schreiend gegen eine Tür tritt und versucht, etwas aus seiner Tasche zu wühlen. Ein Zweiter kommt dazu und drängt ihn beiseite.
Persönlicher Angriff ist ein No-Go
Mehrere Familienmitglieder schrieben in den sozialen Medien dazu, dass sich zu dem Zeitpunkt nur Mutter und Schwester im Haus befunden hätten. Ein persönlicher Angriff und ein No-Go in dem Milieu. Dies heizte die Stimmung weiter auf.
In einem weiteren Video vom Tatort ist zu sehen, dass zwei Polizisten anwesend waren in einer Gruppe sehr aufgeregter Männer. Offen ist derzeit, warum es trotzdem zu der grausamen Tat kommen und wieso der Täter flüchten konnte.