
© Skolimowska/dpa-Symbolbild
Wer hat was wann an wen gezahlt? Diese Frage stand am Mittwoch im Landgericht Stade im Mittelpunkt. Angeklagte B. berichtete von ihrer Arbeit für den Hauptangeklagten D.
Beerster Bauunternehmer schweigt
Es ist der Tag der Angeklagten B. Im Verfahren um einen Fall von Wirtschaftskriminalität, in dem sich ein Bremerhavener Bauunternehmer aus Bederkesa verantworten muss, liefert die Frau viele Belastungsmomente. Sie spricht von Drohungen.
Frau B. - eine von fünf Angeklagten - wird am Mittwoch im Schwurgerichtssaal des Landgerichts Stade wieder von Rechtsanwältin Petra Stelljes vertreten. Deren Arbeit unterstützt eine Dolmetscherin, die des Russischen mächtig ist. Richterin Dr. Judith Farokhmanesh hatte vier der fünf Angeklagten - auch Frau B. - eine Bewährungsstrafe von fünf bis neun Monaten in Aussicht gestellt, wenn sich diese geständig zeigen.
Mit einer Großrazzia hat alles begonnen
Im Verfahren geht es um illegale Beschäftigung von ausländischen Mitarbeitern in Deutschland und um den Verdacht bandenmäßigen Schleusertums. Bei einer Großrazzia von Zoll und Polizei vor viereinhalb Jahren trafen die Beamten auf fünf von sechs Baustellen des Bremerhavener Unternehmers D. in der Region auf 31 Personen, unter anderem aus Moldawien, Litauen und der Ukraine.
Zu Beginn des dritten Prozesstages formuliert die Staatsanwaltschaft, dass dem Hauptangeklagten D. auch zur Last gelegt werde, rund 830.000 Euro an Sozialversicherungsbeiträgen für die ausländischen Mitarbeiter, die in seinem Auftrag gearbeitet hätten, nicht in Deutschland gezahlt zu haben, sondern in Litauen. Und zwar bei den dort ansässigen Firmen Londra und Ketrus, über die er die Mitarbeiter angefordert habe.
Angeklagte B. - sie war von Februar bis Juli 2017 bei der Londra und von August bis Dezember 2017 bei Ketrus in Litauen beschäftigt - hatte ihren Arbeitsplatz bei Bauunternehmer D. in Bremerhaven. Sie soll am Mittwoch ihre Tätigkeiten bei den Firmen beschreiben und die Rolle von Unternehmer D.
Zumeist Arbeiter mit rumänischen Pässen
Die Angeklagte spricht davon, unter anderem für die Arbeitsverträge der Mitarbeiter, für die Errechnung ihrer Löhne und das Führen von Statistiken für die Baustellen von D. verantwortlich gewesen zu sein. Demnach habe sie es überwiegend mit Bauarbeitern zu tun gehabt, die rumänische Pässe besessen hätten. Die Arbeiter hätten laut Angeklagter alle die Bescheinigung A1 gehabt, mit der ein Beschäftigter nachweist, dass er bei einer Dienstreise ins europäische Ausland über das Heimatland sozialversichert ist. „An der Echtheit der Papiere hatte ich keinen Zweifel“, sagt B., „ich musste die Namen bloß in die Listen eintragen, ihre Löhne berechnen und auszahlen.“
Zur Arbeit angenommen habe besagte Mitarbeiter stets Unternehmer D., von dem sie den Eindruck gehabt habe, dass er Chef und Arbeitgeber gewesen sei. Er habe auch bei der Firma Ketrus das Sagen gehabt, so die Angeklagte. Zudem habe D. den Wohnraum für die Arbeiter während ihres Aufenthalts in Deutschland gemietet.
Zweimal im Monat habe es Geld gegeben für die Arbeiter - auf der Basis von Stundenzetteln habe sie diese Beträge in bar ausgezahlt. Die zuvor errechnete Gesamtsumme habe D. stets in einem Briefumschlag vorbeigebracht. Sie habe in weiteren Briefumschlägen an jeden einzelnen Arbeiter das zuvor Berechnete ausgezahlt. „15 Prozent des Geldes“, so die Angeklagte, „musste an Steuern einbehalten werden.“ Für die Wohnungen seien 5 Euro pro Tag einbehalten worden. Zahlreiche Tabellen, die an die Wand des Schwurgerichtssaals geworfen wurden, sollen am Mittwoch die Berechnungsgrundlagen und Summen belegen.
„Von diesem Zeitpunkt an war ich skeptisch“
Sie sei davon ausgegangen, dass die Sozialversicherungsabgaben auch in Litauen gezahlt worden seien. Ob das Geld dort angekommen sei, wisse sie nicht. Sie habe sich nicht getraut, zu fragen, sagt die Angeklagte. Sie habe dann mit einem Buchhalter der Firmen in Litauen sprechen wollen und einen Flug gebucht. „Unternehmer D. sagte, dass das nicht geht. Von diesem Zeitpunkt an war ich skeptisch“, sagt die Frau. Ihr sei dann gekündigt worden zum 31. Dezember 2017, „aus arbeitsorganisatorischen Gründen“. Sie habe ihre Sachen gepackt und einen Stick mitgenommen, erzählt die Angeklagte. „Als man mir gedroht hatte, was alles passieren kann, wenn ich den Stick mit den Lohntabellen nicht rausgebe, habe ich eine Sicherungskopie gezogen“, sagt B. Später habe sie D. den Stick zurückgegeben.
Alle Anwälte weisen das geschilderte Bedrohungsszenario zurück. Dr. Thomas Nitsche, Verteidiger des Angeklagten Sch., sieht in der Aussage der Angeklagten ein „deutliches Belastungsinteresse“.
Hauptangeklagter äußert sich weiter nicht
Hauptangeklagter D. äußert sich auch am Mittwoch nicht. Stattdessen gibt es Nachfragen von seinen Anwälten Uwe-Jürgen Bohlen und Philip Martel. Auch Dr. Nitsche will mehr Details zu Auszahlungen und Abbuchungen. Für ihn sei der Fall durch das europäische Recht geregelt, sagt Nitsche nach dem Prozesstag. „Litauen ist Staat in der EU. Litauische Unternehmen dürfen Aufträge aus Deutschland annehmen. Jeder Cent für Sozialabgaben und Steuern ist auch in Litauen bezahlt worden“, sagt der Verteidiger.
Der Prozess wird am heutigen Donnerstag fortgesetzt.