Vor 70 Jahren: Die Seenotretter finden die im Herbststurm vermisste „Nossan“

Vor 70 Jahren: Die Seenotretter finden die im Herbststurm vermisste „Nossan“

Es ist einer der längsten Such- und Rettungseinsätze in der nahezu 160-jährigen Geschichte der Seenotretter auf Nord- und Ostsee: Im September 1954 wurde der havarierte Frachter „Nossan“ mit sechs Seeleuten an Bord im Sturm nach Cuxhaven geschleppt.

Rettung nach drei Sturmnächten

Vor 70 Jahren: Tagelange Suche nach Frachter „Nossan“ mit sechs Seeleuten in Seenot

Vor 70 Jahren verschwindet im Herbststurm in der Deutschen Bucht ein in Seenot geratener schwedischer Frachter. Tagelang fragen sich viele Menschen in Norddeutschland: Wo bleibt die „Nossan“? Die Rettung des Schiffs und der sechs Seeleute an Bord am 18. September 1954, nach 73 Stunden in tosender See, durch das Motorrettungsboot „Langeoog“ der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) ging als einer der längsten Such- und Rettungseinsätze in die nahezu 160-jährige Geschichte der deutschen Seenotretter ein.

Mit zehn Beaufort weht der Sturm, als die „Nossan“ am Mittwochabend, 15. September 1954, auf der Nordsee in Seenot gerät. Sie ist mit rund 600 Kubikmetern Fichtenholzbrettern beladen. Unterwegs nach London fällt vor der niederländischen Insel Vlieland die Maschine aus. Wellen brechen sich auf dem Deck. Trotz erheblicher Anstrengungen der Besatzung ist die Reparatur mit Bordmitteln unmöglich. Die „Nossan“ treibt manövrierunfähig im schweren Sturm. Eine Funkanlage, heute einer der Schlüssel im modernen Seenotrettungsdienst, hat sie noch nicht.

Erschöpfte Besatzung kämpft ums Überleben

Um 2.30 Uhr trifft die „Niederelbe“ bei der „Nossan“ ein. Das deutlich kleinere deutsche Schiff hat noch schwerer mit der See zu kämpfen. Gegen 9 Uhr entdeckt der Dampfer „Gustav Pistor“ den Havaristen. Er kommt nicht nahe genug heran, kann aber über Funk Hilfe anfordern. Während in Cuxhaven 3,5 Meter Wasser über normal im Hafen stehen, versuchen Bergungsschlepper, die „Nossan“ zu finden – ohne Erfolg.

Noch immer herrscht Sturm, selbst Seenotsignale werden nicht gesehen. Die „Nossan“ hat Schlagseite. Bis zum Bauch in überkommenden Seen arbeitend, bringt die Crew der „Nossan“ einen Treibanker aus, um das Schiff zu stabilisieren. Die übermüdete Besatzung wirft mehr als 60 Kubikmeter Holz über Bord, um das starke Hin-und-Her-Rollen zu verringern. Die Küstenfunkstellen senden unentwegt Dringlichkeitsmeldungen (Pan-Pan) aus.

Erfahrung des Vormanns ist Schlüssel zum Erfolg

Erst am 17. September, kurz nach 16 Uhr, entdecken zwei Suchflugzeuge die mit schwerer Schlagseite treibende „Nossan“ – 140 Seemeilen von ihrer ursprünglichen Position entfernt. Die Motorrettungsboote „Lübeck“ der Station Wangerooge, „Langeoog“ der Station Langeoog und der aus der Wesermündung kommende Seenotrettungskreuzer „Bremen“ nehmen Kurs auf die gemeldete Position. Aus Cuxhaven laufen zwei Bergungsschlepper aus.

Schwarz-Weiß-Aufnahme von drei Männern an Bord eines Schiffes im Hafen.

© DGzRS

Nach zwei schlaflosen Sturmnächten konnte sich die Besatzung des Motorrettungsbootes „Langeoog“ über die erfolgreiche Rettung freuen (von links): Motormann Hans Bux, Vormann Hillrich Kuper und Rettungsmann Tjard Mannott.

Der Sturm weht aus Südwest mit bis zu 100 Kilometern pro Stunde. Auf der „Langeoog“ kämpfen sich Vormann Hillrich Kuper, Rettungsmann Tjard Mannott und Maschinist Hans Bux Richtung freie See. Ständige Regenböen nehmen den Seenotrettern die Sicht in der hohen, steilen See. Gegen 18.30 Uhr, am angegebenen Ort, gibt es keine Spur von der „Nossan“. Doch Vormann Kuper weiß, dass bei Flugzeugmeldungen die geografische Breite wegen der hohen Fluggeschwindigkeit oft sehr ungenau ist. Die „Langeoog“ sucht nun weiter nördlich und – volle Ebbstrom-Abdrift eingerechnet – etwas weiter westlich. Und tatsächlich: „Liek vöruut, doar drifft de ‚Nossan‘!“ („Recht voraus, da treibt, die Nossan‘!“), schreit Kuper im Sturm zu Mannott, als er gegen 20.30 Uhr den Havaristen im Suchscheinwerfer hat.

Schlepptrosse bricht mehrfach im Sturm

Im schweren Seegang halten sich Mannott und Bux an Deck, obwohl die „Langeoog“ tief in die Wellen eintaucht. Es gelingt ihnen, die Leine der „Nossan“ einzufangen und mit der Schleppleine der Seenotretter zu verbinden. Mit großem Geschick bringt Vormann Kuper den Schleppzug in Fahrt. Gewitter ziehen ringsumher auf. Die „Langeoog“ hat keine Funkverbindung mehr. Nach etwa einer Stunde bricht die Schlepptrosse. Beide Schiffe stellen eine neue Verbindung her – unter denselben Strapazen wie zuvor.

Gegen 23 Uhr meldet sich der Schlepper „Wotan“ über Funk. Auch der Schlepper „Danzig“ ist auf dem Weg. Doch bevor die „Langeoog“ die „Nossan“ an eins der stärkeren Schiffe übergeben kann, bricht die Trosse erneut. Der „Danzig“ gelingt es, die „Nossan“ auf den Haken zu nehmen. Die „Langeoog“ sichert den Schleppverband. Bei Feuerschiff „Elbe II“ bricht die Trosse erneut. Kurz bevor die „Nossan“ auf den gefährlichen Vogelsand treibt und strandet, nimmt die „Langeoog“ sie abermals für eine weitere Stunde auf den Haken, bis die „Danzig“ wieder übernehmen kann.

Nach zwei Sturmnächten im rettenden Cuxhaven

Am Samstagmittag, 18. September, nach zwei nahezu schlaflosen Sturmnächten, erreicht der Schleppverband Cuxhaven. In gemeinsamer Anstrengung ist es gelungen, sechs Menschenleben zu retten. Vormann Hillrich Kuper sagt in den folgenden Jahrzehnten einen Satz immer wieder über seine „Langeoog“, die seit 1980 ein Museumsschiff im Kurzentrum der gleichnamigen Insel ist: „Mit diesem Boot geh‘ ich durch jede Brandung, mit dem kann man alles machen.“ (pm/mcw)

Zum Artikel

Erstellt:
13.09.2024, 18:41 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 17sec

Artikel empfehlen

Artikel Aktionen

Orte