
© Torsten Sachs
Luftaufnahme der deutsch-russischen Forschungsstation Samoylov im Lena-Delta. Sie ermöglicht eine ganzjährige Permafrost-Forschung. Zuvor waren die Wissenschaftler in einer Holzhütte untergebracht.
Krieg stellt Forschung auf den Kopf
Sie haben quasi die halbe Arktis verloren. Nach dem Angriff auf die Ukraine sind für die Permafrostforscher des in Bremerhaven ansässigen Alfred-Wegener-Instituts alle Kontakte nach Russland abgebrochen. Ein herber Schlag.
Irgendwo im Hinterkopf hatten Professor Guido Grosse und sein Team immer den Gedanken, dass es mit Russland schwierig werden könnte. „Dass es so dramatisch werden könnte, hat keiner erwartet“, sagt der Leiter der Permafrostforschung am AWI. Wie sich der russische Teil der Arktis verändert, kann die internationale Forschungsgemeinschaft kaum noch nachvollziehen.
Was ist Permafrost?
Die Permafrostforschung des AWI ist traditionell am Standort Potsdam angesiedelt. Permafrost ist die Bezeichnung für einen ganzjährig gefrorenen Boden. Er kommt auf fast einem Viertel der Landfläche auf der Nordhalbkugel vor. Zu den größten Vorkommen gehört das russische Sibirien. Diese Dauerfrostböden wirken wie riesige Kühltruhen, in denen uralte, kohlenstoffreiche Tier- und Pflanzenreste lagern. Die Vereinten Nationen haben unlängst das Auftauen der Dauerfrostböden als eine der fünf unterschätzten Umweltgefahren benannt.
Was bewirkt der Klimawandel?
Die obersten Bodenschichten werden im Sommer sowieso weich. Doch durch die steigenden Temperaturen taut der Permafrost immer tiefer auf. Das Bodeneis schmilzt, und der Boden sackt in sich zusammen, es bilden sich Tümpel und Seen. Küsten erodieren. Die Landschaft verändert sich dramatisch. Alles verliert seinen Halt, ob Häuser, Straßen oder Leitungen beispielsweise.

© picture alliance/dpa
Schräg ragt in Shishmaref/Alaska eine Holzhütte am Wasserrand in die Höhe (undatierte Aufnahme). Durch das Auftauen des Permafrost-Bodens wird auch die Infrastruktur gefährdet.
Vor allem aber sorgen sich Klimaforscher, weil jetzt die Biomasse im Boden auftaut. Mikroorganismen zersetzen sie, dabei entstehen Gase - Kohlendioxid und Methan.
Warum sollte mich das Auftauen des Permafrostes nicht kalt lassen?
Weil diese Gase in die Atmosphäre entweichen und den Klimawandel befeuern. Methan soll deutlich klimaschädlicher sein als Kohlendioxid. Die Erde wird zusätzlich erwärmt und das Tauen des restlichen Permafrosts beschleunigt. Die Arktis wiederum ist entscheidend für unser Wettergeschehen. Der fortschreitende Klimawandel macht Extremwetter bei uns immer wahrscheinlicher, sagen Meteorologen und Klimaforscher.
Forschung im Lena-Delta in Sibirien
Somit ist Sibirien doch nicht so weit weg, wie es auf den ersten Blick scheint. Die Permafrost-Experten des AWI haben vor allem im Lena-Delta geforscht. Der Fluss Lena ist mit über 4.000 Kilometern einer der längsten der Erde, verzweigt sich am Ende auf riesigen 45.000 Quadratkilometern und mündet in die Laptewsee am Rande des Nordpolarmeers.

© AWI/Torsten Sachs
Die Forschungsstation Insel Samoylov in Sibirien bietet gute Forschungsmöglichkeiten. Zuvor waren die Permafrost-Experten in einer bescheidenen Hütte untergebracht, die auch Russlands Präsident Wladimir Putin 2010 besucht hatte.
AWI-Mitarbeiter sorgen sich um Datenschätze
Seitdem geht nichts mehr. Der Allianz der Wissenschaftsorganisationen folgend, hat das AWI alle laufenden und geplanten Projekte mit staatlichen Stellen in Russland eingefroren. Die erste Überwinterung auf der Station Insel Samolov wurde gestrichen. Ob die russischen Kollegen in der Lage sind, die Langzeitprogramme fortzuführen - Grosse und sein Team wissen es nicht. Einen Datenaustausch gibt es nicht. Doch fast schlimmer noch: In mehr als 20 Jahren sind Freundschaften entstanden. Grosse: „Wie es unseren Freunden geht, wissen wir nicht.“
Nordamerika, Skandinavien und nun auch Grönland
Grosse ist froh, dass das AWI die Permafrostforschung strategisch breiter aufgestellt hat. Auch in Alaska, Kanada oder Skandinavien und Spitzbergen waren sie schon unterwegs. Diese Aktivitäten werden nun ausgebaut. „Grönland kommt jetzt neu dazu“, sagt Grosse. Ein Drei-Jahres-Programm mit Methan-Untersuchungen - ursprünglich für Russland gedacht - werden die AWI-Mitarbeiter auf Grönland umswitchen. Die erste Logistik-Expedition dazu hat in diesem Sommer stattgefunden. „Ich gehe davon aus, dass es eine mittel- bis langfristige Umorientierung geben wird“, sagt Grosse nachdenklich. Einfach ist die Neuorganisation nicht. „Viele europäische Partner stehen vor demselben Problem“, sagt Große. Doch die Permafrostgebiete seien groß. „Es gibt noch viele weiße Flecken.“
Noch Proben aus Sibirien in Kühlkammern
Er selbst ist auf Fernerkundung spezialisiert, kann mit Hilfe von Satelliten-Daten weiter Landschaftsveränderungen in Sibirien beobachten. „Aber wir bekommen keine neuen Felddaten“, sagt er. Einige Proben stehen noch in den Kühlkammern. Irgendwann sind auch die ausgewertet.