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Pfandleiher Dennis Zobel taxiert hinter einer dicken Panzerglasscheibe den Wert eines gebrauchten Laptops. Die wachsende Not vieler Menschen geht auch an ihm nicht spurlos vorbei.
Letzter Ausweg Pfandleihe
In Krisenzeiten boomt das Geschäft von Pfandleihern - auch in der Seestadt. Für immer mehr Bremerhavener ist das Pfandhaus Schumachers der letzte Ort, an dem sie noch zu Geld kommen. Wer sind die Menschen vor und hinter der Panzerglasscheibe?
Montagmorgen in Bremerhaven-Lehe. Das Pfandhaus Schumachers in der Lutherstraße hat gerade seine Pforten geöffnet. Im Geschäft herrscht Leere. „Sehr ungewöhnlich“, sagt Pfandleiher Dennis Zobel. „Normalerweise ist es montags um diese Zeit rappelvoll.“ Eigentlich müsste man zum Monatswechsel vorbeikommen, schiebt Prokuristin Corinna Zobel dazwischen. „Wenn die Leute ihren Lohn oder ihr Arbeitslosengeld bekommen haben und ihre verpfändeten Gegenstände wieder auslösen wollen. Dann haben wir am Tag an die 500 Kunden. Morgens reicht die Schlange vor dem Geschäft bis zur Hafenstraße.“
Die Zobels stehen am Schalter, hinter einer dicken Panzerglasscheibe. Die ebenfalls mit Sicherheitsglas geschützte Auslage vor ihnen ist gefüllt mit gebrauchtem Gold- und Silberschmuck aller Art: Ringe, Uhren, Armbänder, Halsketten. Die meisten sind Pfandware von Kunden, die nicht abgeholt wurde. Die Preise gehen in die Tausende Euro.
Seit Corona wird der Kundenzustrom immer größer
Neben der Eingangstür gibt ein Bildschirm in Echtzeit die Aufnahmen der Sicherheitskameras im Geschäft und vor dem Eingang wieder. Unzählige Male hätten Einbrecher bereits versucht, in den Laden einzudringen, sagt Corinna Zobel. Das letzte Mal im April. „Erfolg hat bislang noch keiner gehabt. Das Geschäft ist viel zu gut gesichert.“
Seit 1999 betreibt Corinna Zobel die Schumachers-Filiale in der Lutherstraße, ihr Mann kam 2015 dazu. Doch in Wahrheit ist das Geschäft viel älter. „In den Fünfzigerjahren wurde es von der Familie Kopainig eröffnet. Damals noch in der Borriesstraße in Geestemünde. Später sind die dann nach Lehe umgezogen“, sagt Corinna Zobel. An der Hausfassade zeugt ein mit goldener Farbe in den Marmor eingravierter Schriftzug noch von dieser Zeit: „Pfandkredit KOPAINIG - An- und Verkauf“, steht dort.

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Ungewöhnlich leer: Normalerweise stehen Kunden am Montagmorgen vor dem Eingang des Pfandhauses Schlange.
Corinna Zobel war seinerzeit als Nachfolgerin für eine Freundin, die in Rente gegangen war, zu dem Pfandhaus gekommen und seitdem geblieben. Dennis Zobel ist gelernter Elektriker, hat 15 Jahre bei Kronos Titan in Nordenham gearbeitet. Als seine Stelle gestrichen wurde, fing er bei seiner Frau im Pfandhaus an. „Mein jetziger Job ist krisensicher“, sagt er.
Seit Ausbruch der Corona-Pandemie können die Zobels tagtäglich beobachten, wie der Kundenzustrom immer größer wird: „Mit Corona fing das an, als die ganzen Geschäfte und Restaurants schließen mussten und massenweise Angestellte, Köche und Kellner plötzlich ohne Einkommen dastanden“, erinnert sich Corinna Zobel. „Dann kam der Krieg in der Ukraine, die steigenden Energiepreise, die wachsende Inflation. Mittlerweile reißt der Zustrom nicht mehr ab, wir nehmen jeden Tag neue Kunden auf.“
So wie den Zobels geht es vielen Pfandhausbetreibern im ganzen Land. Laut dem Zentralverband des Deutschen Pfandkreditgewerbes (ZDP) zahlten Pfandkreditunternehmen in den vergangenen Jahren Darlehen in Höhe von mehr als 600 Millionen Euro im Jahr aus - Tendenz steigend.
„Das sind Familienerbstücke, die bleiben auch in der Familie“
Arne Fiermann (*Name geändert) kommt seit vielen Jahren zu den Zobels, ist mittlerweile Stammkunde. Meistens kommt der 40-jährige Bremerhavener, um Schmuck zu verpfänden oder einfach nur seinen Wert schätzen zu lassen. „Meine Frau und ich haben in der Vergangenheit des Öfteren Goldschmuck geerbt“, sagt Fiermann. „Da will man natürlich wissen, was genau das ist und wie viel es wert ist.“
Mit solchen Fragen ist er bei den Zobels an der richtigen Adresse. Die Taxatoren - wie die Gutachter in der Fachsprache genannt werden - sind darauf spezialisiert, Echtheit und Schmuckwert zu prüfen. „80 bis 90 Prozent aller verpfändeten Gegenstände sind Schmuck“, sagt Denis Zobel. „Der Rest ist Elektronik – Smartphones, Kameras, Spielkonsolen, Fernseher.“
Ein Pfandkreditvertrag läuft mindestens drei Monate. Das ist gesetzlich in der Pfandleiherverordnung festgelegt. Wie viel Geld Kunden für ihre Wertsachen bekommen, hängt bei Schmuck von den Börsenwerten und bei Elektronik von den Neu- und Gebrauchtpreisen ab. Letztendlich liegt die Entscheidung dafür beim Pfandleiher.
Je Monat müssen Kunden Zinsen in Höhe von einem Prozent des Darlehensbetrags bezahlen. Darüber hinaus fallen fest gestaffelte Gebühren an. Was die Kunden nach Ablauf der Vertragslaufzeit und einer Karenzzeit von einem weiteren Monat nicht wieder abholen, geht in die öffentliche Auktion. Werden die Wertgegenstände dort nicht verkauft, kommen sie zum Verkauf in die Pfandhäuser.

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Nicht abgeholt: Neben Schmuck werden besonders häufig Elektrogeräte wie Smartphones, Kameras und Spielkonsolen verpfändet. Werden sie nicht wieder ausgelöst, gehen sie in die Auktion und anschließend in den Verkauf.
Arne Fiermann gibt ausschließlich Schmuck in Pfand. Bislang habe er seine Wertsachen stets wieder ausgelöst: „Das sind Familienerbstücke, die bleiben auch in der Familie“, sagt er prinzipientreu. Für Fiermann ist das Pfandhaus eine gute Möglichkeit, schnell und unkompliziert die Urlaubskasse aufzubessern. „Ganz ohne Schufa-Auskunft oder lästige Fragen“, sagt er.
Das Geld für die Auslösung aufzutreiben, sei für ihn indes kein Problem, der Hafenfacharbeiter und seine Frau haben beide regelmäßige Einkommen. „Ich kenne aber auch Kunden, denen es längst nicht so gut geht und für die der Gang zum Pfandleiher die letzte Möglichkeit ist, noch irgendwie an Geld zu kommen“, sagt Fiermann. „Einen Bankkredit bekommen die schon lange nicht mehr.“
Tatsächlich ist Bremerhaven die Stadt mit den meisten verschuldeten Haushalten in Deutschland. Laut aktuellen Zahlen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform konnten 2022 19,7 Prozent der Stadtbevölkerung ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen - das sind 18.4000 Menschen. Fast jeder fünfte Bremerhavener.
Dennis Zobel betont derweil, dass längst nicht mehr nur Mittellose oder Sozialhilfeempfänger zu ihm ins Geschäft kämen: „Die Kunden kommen aus allen Schichten der Gesellschaft: Männer und Frauen, Junge und Alte, Erwerbstätige und Arbeitslose, Begüterte und Arme. Wir haben hier sogar schon Firmeninhaber stehen gehabt, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten waren.“
Am Ende vertreten sie die Interessen des Geschäfts
Das Image von Pfandleihern habe sich in den vergangenen Jahren sehr verändert, die Hemmschwelle, ein Pfandhaus zu betreten, sei heute nicht mehr so groß wie früher. Arne Fiermann stimmt dem zu: „Bei den ersten Malen habe ich mich noch geschämt, ins Pfandhaus zu gehen“, gesteht er. „Da habe ich mich vor dem Betreten des Geschäfts noch umgeschaut, ob da jemand ist, der mich kennt.“ Heute habe er damit kein Problem mehr: „Es gibt keinen Grund, sich zu schämen. Jeder kann mal in eine Situation kommen, in der er dringend Geld braucht.“
Nicht alle Kunden machen aus ihrer Not ein Geheimnis: „Wir fragen niemals explizit nach der persönlichen Situation, das verbietet sich“, sagt Dennis Zobel. „Aber manche Kunden fangen von sich aus an zu erzählen.“ Insbesondere zu den Stammkunden entwickle sich im Laufe der Zeit auch mal eine Beziehung, die über das reine Geschäft hinausgeht. „Manchmal finden wir uns als Tröster wieder, ähnlich einem Barkeeper, der sich das Leid seiner Gäste anhört.“
Corinna Zobel erinnert sich an einen jungen Mann, der regelmäßig mit Elektrogeräten ins Geschäft kam. „Ich habe ihm immer zugeredet, dass er etwas ändern, dass er sein Leben in den Griff kriegen muss“, erzählt sie. „Irgendwann stand er dann im Geschäft und präsentierte uns stolz seinen Ausbildungsvertrag.“ Es gibt also auch schöne Geschichten in all der Not. Man müsse sich aber auch abgrenzen können, sagt ihr Ehemann. „Wir können nicht jedem Notleidenden helfen - so gerne wir das auch möchten.“ Am Ende des Tages vertrete man schließlich die Interessen des Geschäfts.