Kohfeldt im Interview: „Gegen Werder zu spielen, löst nicht nur Freude aus“

Kohfeldt im Interview: „Gegen Werder zu spielen, löst nicht nur Freude aus“

20 Jahre war Florian Kohfeldt leidenschaftlicher Werderaner. Als Darmstadt-Coach kommt er jetzt zurück an die Weser. Vor dem Pokalduell spricht der Ex-Bremer über seine Gefühle vor der Rückkehr, den Abstieg 2021 und sein Verhältnis zu Ole Werner.

Kohfeldt spürt nicht nur Vorfreude

Ex-Werder Coach spricht im Interview über das Pokalduell gegen seinen Ex-Club Werder

142 Pflichtspiele lang war er einst als Cheftrainer für den SV Werder Bremen verantwortlich - am Dienstagabend wird Florian Kohfeldt nun erstmals gegen seinen Herzensverein antreten. Mit dem Zweitligisten SV Darmstadt 98 gastiert der Trainer für das DFB-Pokal-Achtelfinale im Weserstadion. Dass es für ihn kein Spiel wie jedes andere wird, versteht sich von selbst. 20 Jahre lang war er für Werder tätig und ist immer noch Fan des Vereins. Im Interview mit der DeichStube spricht Kohfeldt über seine Emotionen vor der Rückkehr und erklärt, warum es für ihn in Darmstadt so gut läuft.

Herr Kohfeldt, Weserstadion, voll besetzte Ränge, und das Flutlicht brennt. Was löst diese Vorstellung in Ihnen aus?

Sehr viel Vorfreude auf jeden Fall! 20.45 Uhr, ein K.o.-Spiel im Weserstadion – es gibt wenige Orte, an denen ich an einem Dienstagabend lieber sein würde. Wir freuen uns alle sehr auf dieses Spiel, denn es ist nicht nur für mich persönlich, sondern für unseren gesamten Verein ein echter Höhepunkt. Ein Pokal-Achtelfinale ist in Darmstadt kein Alltag. Auf der einen Seite würde ich gerne einen dieser speziellen Weserstadion-Abende erleben, andersrum würde das aber bedeuten, dass es für meine Mannschaft nicht so gut läuft (lacht). Auf die Energie, die dieses Stadion entfachen kann, werde ich meine Spieler vorbereiten, damit wir den Abend erfolgreich gestalten können.

Sie waren insgesamt 20 Jahre lang in verschiedenen Rollen für Werder tätig, allen voran natürlich als Cheftrainer von 2018 bis 2021. Besteht die Gefahr, dass Sie sich am Dienstagabend auf die falsche Trainerbank setzen?

(lacht) Nein, die Gefahr sehe ich nicht. Es könnte aber etwas länger dauern als in anderen Stadien, bis ich an meinem Platz bin. Ich gehe stark davon aus, dass ich auf dem Weg dahin die eine oder andere Hand schütteln werde, worauf ich mich sehr freue. Ich mache mir da auch gar nichts vor: Das Drumherum wird bei mir sehr viele Emotionen wecken, weil ich mit dem Stadion an sich, aber vor allem mit den Menschen in Bremen enorm viel verbinde. Wenn das Spiel läuft, bin ich aber Trainer von Darmstadt 98, zu 100 Prozent, und werde alles dafür tun, um einen guten Job zu machen und mit meiner Mannschaft in die nächste Runde einzuziehen.

Es wird das erste Mal in Ihrer Trainerkarriere sein, dass Sie gegen Ihren Herzensverein Werder spielen. Haben Sie bei der Achtelfinal-Auslosung die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen oder doch die Faust geballt?

Weder noch. Ich konnte die Auslosung live verfolgen, weil wir einen Tag vorher gespielt haben. In dem Moment, in dem das Los kam, hatte ich gar keine Zeit mehr, mir irgendwelche Gedanken zu machen, weil mein Handy sofort explodiert ist. Ich habe sehr, sehr viele Nachrichten bekommen, was wirklich schön war. Aber so ehrlich muss ich sein: Die Vorstellung, gegen Werder zu spielen, löst nicht nur Freude in mir aus. Denn es ist etwas, das ich mir ganz, ganz lange nicht vorstellen konnte. Die Reaktionen, die ich nach der Auslosung bekommen habe, haben mir aber gezeigt, dass sich viele Menschen in Bremen darauf freuen, mich wiederzusehen, auch wenn sie natürlich alles daransetzen wollen, dass ich sportlich keinen schönen Abend haben werde. Das Ziel von meiner Mannschaft und mir ist natürlich das Gegenteil (grinst).

Werder geht als Bundesligist als klarer Favorit ins Spiel gegen Ihre Mannschaft. Wie wollen Sie die Bremer ärgern?

Werder ist inzwischen wieder ein gestandener Bundesligist mit sehr hoher individueller Qualität in allen Mannschaftsteilen. Wenn dieses Spiel zehnmal gespielt wird, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Werder zu Hause neunmal gewinnt. Aber es ist der Pokal, und wir werden mit allem, was wir haben, versuchen, unsere Chance zu ergreifen und in das Viertelfinale zu kommen. Wir kommen aktuell aus einer guten Phase und werden unsere Stärken definitiv in die Waagschale werfen.

Florian Kohfeldt

© Tom Weller

2021 musste Florian Kohfeldt Werder am 33.Spieltag verlassen. Nach 20 Jahren. Kurz danach stiegen die Bremer in die zweite Bundesliga ab.

Seit Sie im September das Traineramt in Darmstadt übernommen haben, geht es unübersehbar aufwärts mit dem Verein. Woran machen Sie den sportlichen Höhenflug fest?

Wir wurden als Trainerteam wirklich super empfangen. Es gab im Verein vom ersten Tag an eine ganz große Offenheit gegenüber unseren Vorstellungen und Ideen. Die emotionale Schnittmenge ist sehr groß, und das ist ganz wichtig für meine Arbeit. Die aktuelle Entwicklung ist aber mit Sicherheit nicht die Florian-Kohfeldt-Entwicklung. Sie ist in allererster Linie das Verdienst der Mannschaft, die im Sommer nach dem Bundesliga-Abstieg einen sehr großen Umbruch hatte. Die Spieler sind extrem lern- und arbeitswillig. Das ist wirklich herausragend. Torsten Lieberknecht (Kohfeldts Vorgänger auf dem Trainerposten, Anm. d. Red.) hat hier eine super Basis hinterlassen. Ich glaube, in Bremen ist vielen gar nicht bewusst, was für ein großer und inzwischen moderner Verein Darmstadt 98 ist. Das betone ich so, weil ich es selbst erlebt habe, seit ich hier bin.

Sie haben die emotionale Schnittmenge zwischen Ihnen und dem Verein erwähnt. Gehen Sie die These mit, dass Sie ein Trainer sind, der bei Traditionsclubs besser zurechtkommt als anderswo?

Gute Frage. Was das Drumherum und das tägliche Leben betrifft, ist das mit Sicherheit so. Hier spürst du jeden Tag, wie tief verwurzelt dieser Verein in der Stadt und auch in den Herzen seiner Mitarbeiter ist. Bei Darmstadt 98 kommen die Leute nicht bloß zur Arbeit, sondern gehen auch ihrer Leidenschaft nach. Ganz egal, ob sie nun in der Medienabteilung, im Trainerbüro oder im Zeugwart-Raum sitzen. Das ist etwas, was ich persönlich sehr gerne mag. Mit meinen Stationen nach Werder (Kohfeldt trainierte den VfL Wolfsburg sowie den belgischen Club KAS Eupen, Anm. d. Red.) wollte ich ganz gezielt nochmal neue Erfahrungen sammeln. Inzwischen schaue ich bewusster darauf, wo ich meine Stärken einbringen kann und wo ich als Trainertyp wirke. Darmstadt passt da sehr gut.

Medial wird Ihr Engagement bei den „Lilien“ hier und da als „das große Kohfeldt-Comeback“ abgefeiert. Was impliziert, dass es vorher nicht mehr besonders gut für Sie lief. Wie sehen Sie das?

(überlegt lange) Ich habe in den vergangenen Jahren gelernt, dass ich solche Deutungen, wenn überhaupt, dann nur bedingt beeinflussen kann. Ich habe das Gefühl, dass es bei der öffentlichen Betrachtung meiner Person immer stark in die Extreme geht. Entweder ganz oben und auf dem Weg, nur noch Topclubs zu trainieren, oder aber kaum noch in der Lage, ein Bezirksliga-Team zu übernehmen. Früher war mir ganz wichtig, was die Leute über mich denken, das galt in Bremen nahezu uneingeschränkt, weil es meine Heimat ist. Da habe ich extrem darauf geachtet, wie ich wirke und bei den Menschen ankomme. Natürlich ist das heute nicht alles weg, aber inzwischen lege ich eher Wert darauf, was ausgewählte Personen über mich denken. Ich habe gelernt, dass mich alles andere zu viel Kraft kostet, die mir dann an anderer Stelle fehlt.

Fühlen Sie sich manchmal ungerecht behandelt?

Ich kann nur sagen, dass ich vom ersten Tag meiner Karriere an im persönlichen Umgang genauso war, wie ich es heute immer noch bin. Ich gehe höflich und respektvoll mit allen Menschen um, mit denen ich zu tun habe. Aber aus welchen Gründen auch immer, scheine ich in der Öffentlichkeit zu polarisieren. Das mag mit meinen Emotionen während meiner Bremer Zeit zusammenhängen, vielleicht habe ich da teilweise auch über die Maßen für den Verein gekämpft.

Innerhalb der Branche hat Ihnen die Bremer Zeit sehr hohes Ansehen verschafft, vor allem, weil es in den ersten Jahren mit Werder enorm gut lief und der Weg fast nach Europa geführt hätte. Mit dem VfL Wolfsburg haben Sie 2021 einen damaligen Topclub übernommen, wo aber früh wieder Schluss war. Es folgte der Schritt nach Belgien, den viele als Schritt zurück betrachtet haben.

Natürlich bin ich nicht stolz darauf, in Wolfsburg nach nur sieben Monaten wieder freigestellt worden zu sein, aber wenn man sich die Umstände ein bisschen detaillierter ansieht, kann man es auch anders betrachten, ohne dass ich darauf jetzt noch näher eingehen möchte. Das Engagement in Eupen war ganz bewusst so gewählt, weil ich eine Auslandserfahrung sammeln wollte und in Belgien meine eigenen Ideen in ganz vielen Bereichen umsetzen konnte. Für mich war es eine bereichernde Zeit, die ich wegen eines Krankheitsfalls in meinem sehr nahen privaten Umfeld leider vorzeitig beenden musste. Als Trainer bin ich durch beide Stationen definitiv gereift.

In bisher zehn Ligaspielen mit Darmstadt haben Sie 19 Punkte geholt, wodurch das Team die Abstiegszone verlassen hat und wieder Höheres anstrebt. Ist das Wort „Aufstieg“ am Böllenfalltor eigentlich tabu?

Nein, überhaupt nicht, solche Tabus haben wir nicht, aber für uns ist der Aufstieg kein Thema. Der Verein kommt aus anderthalb sehr schwierigen Jahren mit wenigen Erfolgen. Für uns geht es darum, ein Saison mit einer stabilen Entwicklung zu spielen und ein Fundament für die Zukunft aufzubauen. Das war auch die Prämisse, unter der ich hier zugesagt habe. Wir wollen eine Spielidee entwickeln, Spieler besser machen und dabei keine Gedanken an die 3. Liga haben müssen. Das sah hier Anfang September ehrlicherweise noch anders aus, vor allem in der öffentlichen Betrachtung.

„Ole ist wirklich ein total angenehmer Typ. An der Seitenlinie begegnen wir uns jetzt das erste Mal.“

Lassen Sie uns auf Werders aktuelle Situation schauen. Zuletzt gab es ein 2:2 gegen den VfB Stuttgart. Welchen Eindruck haben Sie vom kommenden Gegner?

Ich bereite mich auf eine sehr starke Mannschaft vor, die auch im Bundesligavergleich eine hohe Qualität hat. Marvin Ducksch, Mitchell Weiser – Werder hat definitiv Spielertypen, die ein Spiel allein entscheiden können. Dazu kommt in Marco Friedl ein herausragender Innenverteidiger, und in Michael Zetterer eine starke Nummer 1. Auch Romano Schmid ist inzwischen ein absolut gestandener Bundesligaspieler. Ich will hier aber nicht jeden einzeln aufzählen. Grundsätzlich ist es so, dass die Mannschaft eine klare Idee davon hat, wie sie das Spiel nach vorne tragen will. Sie verteidigt auf der anderen Seite sehr mutig, was uns den einen oder anderen Raum eröffnen könnte.

Kennen Sie Werders Trainer Ole Werner eigentlich persönlich?

Ja, wir haben mal einen sehr netten Abend auf einer Weihnachtsfeier zusammen verbracht. Ole ist wirklich ein total angenehmer Typ. An der Seitenlinie begegnen wir uns jetzt das erste Mal.

Ole Werner hat Werder im Herbst 2021 in der 2. Liga übernommen und zum direkten Wiederaufstieg geführt, nachdem Sie mit der Mannschaft in der Saison zuvor den Klassenerhalt nicht geschafft hatten. Beschäftigt Sie der Abstieg heute noch?

Ja. Das kann ich nicht einfach weglegen, und das werde ich auch mein Leben lang nicht können. Der Abstieg hatte sehr vielschichtige Gründe, die natürlich auch bei mir lagen. Solange ich über Fußball und Werder nachdenke, wird mich diese Saison immer beschäftigen. Es war mit weitem Abstand das Schlimmste, was ich in meinem Fußballerleben bisher erlebt habe, und ich kann mir nicht vorstellen, dass da noch viel kommt, was das toppen wird. Ich freue mich, dass bei Werder jetzt wieder eine stabile Situation entstanden ist. Das macht es auch für mich im Rückblick etwas leichter. Aber die reine Tatsache, mit Werder Bremen aus der Bundesliga abgestiegen zu sein, löst bei mir bis heute einen tiefen Schmerz aus. Das wird auch so bleiben. Es gehört zu meiner Geschichte dazu.

Ihre Geschichte in Darmstadt können Sie nun damit prägen, den Verein ins DFB-Pokal-Viertelfinale zu führen, was die „Lilien“ erst einmal in ihrer Historie erreicht haben. In der Saison 1986/87 gab es in der Runde der letzten Acht eine 0:1-Niederlage gegen den Hamburger SV…

… (lacht) auch das noch!

Was würde ein Weiterkommen gegen Werder in Darmstadt auslösen?

Große Begeisterung auf jeden Fall! Es würde den Menschen hier sehr viel bedeuten. Alle wünschen sich, dass wir nach Werder noch so ein besonderes Pokalduell in dieser Saison spielen können. Solche Abende sorgen für große Euphorie.

Eigentlich eine klassische Spieler-Frage: Werden Sie bei Toren gegen Ihren Ex-Verein jubeln?

(lacht) Ich werde versuchen, in jeder Phase dieses Spiels respektvoll mit der Situation umzugehen. Jeder im Stadion wird spüren, dass es etwas Besonderes für mich ist, wieder da zu sein. Aber ich komme als Trainer von Darmstadt 98 zurück, mit einem klaren sportlichen Ziel. Wenn wir ein Tor schießen, freue ich mich daher natürlich.

Herr Kohfeldt, letzte Frage: Ist für Sie, eines fernen Tages, eine Rückkehr zum SV Werder Bremen, ganz unabhängig von der Position, denkbar?

Die Frage musste ja kommen! Meine enge Verbindung zur Stadt Bremen und zu Werder kennt aber natürlich jeder. Beides ist meine Heimat. Deshalb will ich eine Rückkehr – wann und in welcher Form auch immer – grundsätzlich nicht ausschließen. Viel entscheidender ist für mich aber, dass ich mich mit meiner aktuellen Aufgabe sehr wohl fühle. Ich bin glücklich und habe große Lust auf alle Aufgaben, die mit Darmstadt vor mir liegen. (dco)

Florian Kohfeldt, Trainer von Darmstadt 98
Florian Kohfeldt

© David Inderlied

Ihr Autor

Daniel Cottäus

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Erstellt:
01.12.2024, 18:59 Uhr
Lesedauer: ca. 7min 45sec

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