
In der Zentralen Notaufnahme des Klinikums Reinkenheide kümmert sich Chefarzt Jörg Fierlings mit seinem Team täglich um bis zu 160 Menschen. Nicht alle aber gehören dorthin.
Foto: Antje Schimanke
Eine Warze ist kein Notfall
Notaufnahmen sind chronisch überlastet – das ist auch am Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide nicht anders. Chefarzt Jörg Fierlings erklärt, woran das liegt und wie sich daran etwas ändern ließe.
Ein normaler Tag in der Zentralen Notaufnahme: Ab 10 Uhr füllt sich das Wartezimmer. Wer nun noch kommt, muss stehen. Und warten. Das passt heute jemandem überhaupt nicht, er wird laut. Beruhigend redet eine Pflegefachkraft auf ihn ein, so wie sie das im Deeskalationstraining gelernt hat. Als er handgreiflich wird, reicht es. Jemand ruft die Polizei.
20 bis 30 Prozent gehören nicht in die Notaufnahme
Solche Situationen gebe es zwei Mal pro Woche, berichtet Jörg Fierlings, der selbst schon einen linken Haken kassierte. Doch gemessen an der Gesamtzahl der Behandelten sind Streithähne eher selten: Am Ende des Tages wird das Team rund 120 Patientinnen und Patienten betreut haben, manchmal auch bis zu 160. Viele von ihnen benötigen tatsächlich Hilfe. „Rund 40 Prozent nehmen wir nach der Erstversorgung stationär auf“, sagt der Anästhesist und Notfallmediziner. 60 Prozent hingegen könnten nach Hause gehen, und „20 bis 30 Prozent sind bei uns ganz falsch.“
Lange Wartezeiten umgehen
Warum diese Gruppe gekommen ist, hat unterschiedliche Gründe: Mal seien die Hausärztinnen und -ärzte nicht da. Ein andermal wiesen sie selbst Patienten in die Notaufnahme ein, weil sie in der Diagnostik nicht weiterkommen. Manche der vermeintlichen Notfallpatienten seien mit den Zuständigkeiten im Gesundheitssystem nicht vertraut, andere wollten nicht Monate auf einen Facharzttermin warten. Und dann seien da noch diejenigen, die „denken, dass man für eine Warze eine Computertomografie braucht“, fasst der 60-Jährige zusammen.
Patienten werden nach Farbschema sortiert
In die Notaufnahme gehört man Jörg Fierlings zufolge unter anderem bei stark blutenden Wunden und Luftnot. Um in diesem Fall schnell helfen zu können, teilt das Team die Wartenden nach einem Farbschema ein. „Rot steht für Alarmstufe Rot. Dann folgen absteigend die Stufen Orange und Gelb.“ Am geringsten seien die Beschwerden derjenigen in Grün und Blau. „In diese Gruppe würde jemand fallen, der mit Erkältungsanzeichen auftaucht, aber keine akuten Kreislaufprobleme hat“, so der 60-Jährige. Und dieser Mensch würde auch am längsten warten, „im Extremfall mehr als zehn Stunden“. Was längst nicht alle zum Aufgeben bewegt. Manche seien „wirklich hartnäckig, auch mit Warzen“.
Wie lässt sich die Situation verbessern?
Der geschäftsführende Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hatte dafür 2024 einen Vorschlag gemacht, um Patienten besser zu steuern. Demnach sollen beispielsweise rund um die Uhr tätige Notfallzentren an Krankenhäusern eingerichtet werden, in denen Notdienstpraxen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) und Notaufnahmen zusammengeführt sind. Eine zentrale Einschätzungsstelle würde die tatsächlich und vermeintlich Kranken weiterleiten. Das könnte auch in eine telemedizinische Beratung sein. Die Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes Carola Reimann forderte kürzlich: „Eine neue Regierung muss die guten Vorarbeiten in der nächsten Wahlperiode sofort aufgreifen und schleunigst ins Ziel führen.“ Weiteren Reformstillstand könne man sich nicht leisten. Das könne er so unterschreiben, sagt Jörg Fierlings. Grundsätzlich müsse die Zusammenarbeit zwischen ambulanter und stationärer Versorgung noch besser werden. Ein Anfang sei der Einzug der Bremer KV mit ihren Ärztlichen Bereitschaftsdiensten ins Klinikum Reinkenheide Mitte im Februar dieses Jahres gewesen. Ein weiteres Fazit: „Auch mit Telemedizin können wir künftig viel machen – wenn die technischen Voraussetzungen denn stimmen. Derzeit scheitern wir schon an der teilweise mangelhaften Mobilfunknetzversorgung.“
Wann handelt es sich um einen Notfall?
In der Notaufnahme werden Menschen versorgt, die sich in einer lebensbedrohlichen Situation befinden. Auf einen solchen Notfall deuten zum Beispiel die folgenden Symptome hin: starke Blutungen, starke Verbrennungen, Atemnot, Bewusstlosigkeit, starke Bauchschmerzen, Sprachstörungen, einseitige Lähmungen und Schmerzen in der Brust oder zwischen den Schulterblättern. Letztere können auf einen Herzinfarkt zurückzuführen sein. Wer die Telefonnummer 112 wählt, wird gezielt zu den Symptomen befragt und bekommt Hilfe. Mehrsprachige Informationen über die Notaufnahmen im Land Bremen, den ärztlichen Bereitschaftsdienst (nachts, Wochenenden, Feiertage), den Apotheken-Notdienst und die telefonische Beratung unter der Rufnummer 116 117 hat die Bremer Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz zusammengestellt.
Kurse für Kindernotfälle
Damit Eltern für einen Notfall bei Kindern vorbereitet sind, gibt es entsprechende Erste-Hilfe-Kurse. Sie dienen der Unfallvermeidung, dem Anzeigen besonderer Gefahrenquellen und dem Erlernen des richtigen Umgangs in Notfallsituationen. Die AOK erstattet maximal 30 Euro je Erziehungsberechtigtem nach Vorlage der Teilnahmebescheinigung - eine von vielen Mehrleistungen der AOK Bremen/Bremerhaven.